Wahlprüfsteine – Fragen zur Bundestagswahl 2021

Fragen zur Bundestagswahl 2021

 

5 Wahlprüfsteine
des Halterner Forums für Demokratie, Respekt und Vielfalt

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Flüchtlings- und Asylpolitik / Integrationspolitik/ Menschenrechtspolitik

Flüchtlings- und Asylpolitik

Die lange Unterbringung Geflüchteter in großen Landeseinrichtungen als lagerähnliche Einrichtungen mit rigorosen Hausordnungen und fehlender Privatsphäre verhindert nicht nur eine gezielte gesellschaftliche Teilhabe und Integration. Sondern sie macht die oftmals traumatisierten Betroffenen auch krank, fördert die Isolation und setzt sie dort machtlos dem häufigen Fehlverhalten ihnen gegenüber aus. Hinzu kommen inakzeptable Gefährdungen während der Pandemie. Zahlreiche Grundrechte werden dabei verletzt oder außer Kraft gesetzt. Mit dem problematischen neuen Dienstleistungssicherheitsgesetz sollen verstärkt private Sicherheitsdienste in den zentralen Unterbringungseinrichtungen eingesetzt werden.

  • Zudem leben die Geflüchteten und ihre Kinder in ständiger Angst vor Abschiebungen oder vor dem langen perspektivlosen Verweilen, mit psychischen Folgen. Die ehrenamtliche Betreuung und Beratung wird erschwert und bisweilen verhindert. Das politische Versprechen der beschleunigten Bearbeitung von Asylanträgen infolge der zentralen Unterbringung wurde nicht eingehalten. Im Vorjahr waren 31% aller abgelehnten Asylanträge von Gerichten zugunsten der Flüchtlinge aufgehoben worden.

Fragen

Inwieweit werden  Sie und Ihre Partei sich auf Bundes- und Landesebene für eine verkürzte, dezentrale, menschenwürdige und grundgesetzkonforme Unterbringung der Geflüchteten einsetzen und damit für eine Beendigung der bisherigen Unterbringungsform in großen Landeseinrichtungen mit all den negativen Begleitumständen? Und für wie sinnvoll oder problematisch halten Sie die erweiterten Befugnisse privater Sicherheitsdienste in den Flüchtlingsunterkünften (Stichwort: Dienstleistungssicherheitsgesetz)? 

 Was sollte Ihrer Meinung nach veranlasst werden, um die Behandlung und Betreuung der Geflüchteten und ihrer Kinder deutlich zu verbessern, ihren Aufenthalt in den Landeseinrichtungen bis zur Asylentscheidung erheblich zu verkürzen und ihnen in der Zeit die Wahrnehmung von Bildungs- und Ausbildungsangeboten und sinnvollen Betätigungen zu ermöglichen? 

 Integrationspolitik

  •  Während der Pandemie ist die Integrationspolitik nahezu zum Erliegen gekommen (und finanzielle Mittel wurden teilweise in die Corona-Hilfspakete umgeleitet.) Integrationsangebote im Präsenzformat fallen aus, der digitale Zugang ist nicht für alle gewährleistet. Beim 13. Integrationsgipfel der Kanzlerin im März 2021 wurde „Teilhabe als wesentlich für den Zusammenhalt einer Gesellschaft“ erklärt. Dafür seien „gegenseitiger Respekt und Zugehörigkeit unabdingbar“. Dafür müsse die Integration „systematisch gefördert und vorangebracht werden“.
  • Der „Nationale Aktionsplan Integration“ wurde als theoretische Grundlage nun abgeschlossen (5 Jahre nach Beginn der großen Flüchtlingsbewegung 2015/2016), so dass „die erarbeiteten Modelle nun durch alle Akteure in Bund, Ländern und Kommunen in die Praxis umgesetzt werden sollen“. In der Phase IV und V geht es um „Zusammenwachsen und Zusammenhalt“, gegen Gewalt und Diskriminierung, um Einbürgerung, berufliche Integration, politische Bildung und Partizipation. Dies vor allem in den Bereichen Sport, Gesundheit und Medien, Kultur, Stadtentwicklung und Wohnen, ferner  um Diversität in Vereins- und Wirtschaftsstrukturen und mittels interkultureller Öffnung der Verwaltungen.
  • Der Migrationsbeauftragte der Bundesregierung hat Ende 2019 dem Bundestag berichtet, dass die Migranten einen erheblichen Beitrag zur wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung sowie zur Produktivität Deutschlands und zur Volkswirtschaft sowie zum Beschäftigungszuwachs leisten. Damit zahlen sie deutlich mehr an Steuern und Sozialbeiträgen als sie umgekehrt vom Staat erhalten. Jeder 9. sozialversicherungspflichtig Beschäftigte ist ein Ausländer. Langfristig kann ihr Beitrag durch ein höheres Bildungsniveau noch gesteigert werden. Der Nutzen überwiegt die Kosten: Laut BAMF lagen die Kosten für die Flüchtlings-und Integrationsarbeit in 2018 bei insg. 20, 8 Mrd. € (davon 7,5 Mrd. € von den Kommunen) und 6,8 Mrd. € für die Bekämpfung der Fluchtursachen.

Fragen

Welche konkreten politischen Maßnahmen möchte Ihre Partei ergreifen, um die während der Pandemie brach gefallene Integrationsarbeit auf allen Ebenen wieder zu beleben und zu intensivieren?

Wie stellen Sie sich aus politischer Sicht die konkrete Umsetzung der theoretisch-abstrakten Zielsetzungen des  Nationalen Aktionsplanes in den genannten Handlungsfeldern und Schwerpunkten vor? Wie und mit welchen Akteuren und Finanzmitteln sollen diese tatsächlich und praxisorientiert mit Leben gefüllt werden können?

An welchen Fluchtursachen soll nach den Vorstellungen Ihrer Partei mit welchen Mitteln und in welchen Zusammenhängen und Ländern vor allem angesetzt werden?

Menschenrechtspolitik

  •  Das Elend in Moria (mit 10.000 bis 20.000 Geflüchteten) und in anderen menschenunwürdigen unzumutbaren Lagersystemen an der europäischen Außengrenze ist keine „humanitäre Katastrophe“, sondern das Ergebnis einer menschenrechtswidrigen europäischen Politik, die auf die Auslagerung der Verantwortung für Flüchtlinge und Migranten*innen und deren Entrechtung abzielt.  Deutschland und die EU entziehen sich der eigenen Verantwortung, die sie  auf internationale Organisationen und an die „Grenzschutzagentur“ Frontex auslagern und fragwürdige Deals mit der Türkei und Libyen vereinbart haben.
  • Die Frontex-Behörde ist in skandalöser Weise in illegale „Pushbacks“(Zurückdrängen von Bootsflüchtlingen) auf dem Mittelmeer involviert. Seit 2014 sind insgesamt fast 22.000 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken. Internationale Hilfsorganisationen mit ihren Rettungsbooten werden kriminalisiert oder an der Rettung von Menschenleben gehindert. Die Aufnahme weiterer Flüchtlinge aus den griechischen Lagern nach Deutschland wird aufnahmewilligen Kommunen und Bundesländern politisch untersagt.
  • Die Flüchtlings- und Asylpolitik ist zur bloßen Abschiebepolitik Die politischen Strategien der europäischen Regierungen einschließlich Deutschlands sind eine Schande für Europa. Die Aussagen im Koalitionsvertrag klingen wie Hohn: „Das Grundrecht auf Asyl wird nicht angetastet. Bekenntnis zur Genfer Flücht-lingskonvention, zu den aus dem Recht der EU resultierenden Verpflichtungen, zur Bearbeitung jedes Asylantrags sowie zur UN-Kinderrechtskonvention und zur Europäischen Menschenrechtskonvention.“

Fragen

Werden Sie und Ihre Partei sich energisch für die Beendigung der menschenrechtswidrigen schändlichen Flüchtlings- und Asylpolitik der deutschen Regierung und der EU-Gremien  einsetzen – und damit für eine schnellstmögliche Rückkehr zu einer menschenrechtskonformen und humanitären Politik?

 Wie werden Sie sich dafür stark machen, dass Deutschland insgesamt sowie vorab aufnahmewillige Bundesländer und Kommunen weitere Kontingente an notleidenden Flüchtlingen aus den griechischen Lagern und aus dem Balkan aufnehmen dürfen?

 Atomare Bedrohung / Rüstungs- und Abrüstungspolitik/ Sicherheits- und Friedenspolitik

Atomare Bedrohung

  • Weltweit besitzen 9 Staaten insgesamt 13.400 Atomwaffen mit der Sprengkraft von 160.000 Hiroshima-Bomben, darunter auch über 500 Atomsprengköpfe in den 2 europäischen Atommächten Frankreich und England (aktuell will England eine neue Obergrenze für Atomsprengköpfe zwecks Ausbaus des Atomwaffenarsenals). Pro Minute werden fast 139.000 Dollar für Atomwaffen weltweit ausgegeben.
  • In Deutschland im Fliegerhorst Büchel lagern ca. 20 Atomsprengköpfe der USA, die gerade erneuert werden und für deren Transport geeignete Flugzeuge der Bundeswehr neu angeschafft werden. Der gemeinsame Bundestagsbeschluss aller Fraktionen vom März 2010, sich bei der NATO und in den USA für deren Abzug nachdrücklich einzusetzen, wurde nicht umgesetzt. Deutschland beharrt innerhalb der NATO auf atomare Teilhabe und hat den aktuellen UN-Atomwaffenverbotsvertrag nicht unterzeichnet.
  • Die Stadt Haltern am See hat sich der weltweiten Initiative angeschlossen: „Bürgermeister gegen Atomwaffen“ und per Ratsbeschluss den Beitritt Deutschlands zum UN-Atomwaffenverbotsvertrag gefordert.

Fragen

Wie werden Sie und Ihre Partei sich für den Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland und den Verzicht auf die „atomare Teilhabe“ einsetzen (im Sinne des fraktionsübergreifenden Bundestagsbeschlusses von 2010) und die Öffentlichkeit an der Diskussion beteiligen?

 Und werden Sie sich für die Ratifizierung des UN-Atomwaffenverbotsvertrages und für ein weltweites Verbot aller Atomwaffen politisch engagieren, (wie bereits 2009 in einer gemeinsamen überparteilichen Erklärung von Helmut Schmidt, Richard von Weizsäcker, Hans-Dietrich Genscher und Egon Bahr von Deutschland gefordert)?

 Rüstungs- und Abrüstungspolitik

  • Das Rüstungsniveau ist weltweit auf weit über 1.900 Milliarden Dollar (1.900.000.000. $ = fast 2 Billion $) angestiegen, gegenüber nur 8 Mrd. Dollar für das Welternährungsprogramm. Pro Kopf der Weltbevölkerung werden somit 241 US-Dollar für Militär und Rüstung ausgegeben, das sind 170 mal mehr als für die Welthungerhilfe. Allein die USA geben mit 738 Mrd. Dollar zwölfmal so viel für Rüstung und Militär aus wie Russland (60,6 Mrd. $) und viermal so viel  wie China (193.3 Mrd. $). Die Militärausgaben der 29 NATO-Staaten liegen bei 1.035 Mrd. $.  Die weltweite Hochrüstung  dient längst nicht mehr der Sicherheit, sondern schafft neue Unsicherheit und Kriegsgefahren, wie 29 Kriege und bewaffnete Konflikte in 2020 zeigten
  • Deutschland soll und will seinen Militäretat auf 85 Mrd. Dollar steigern (2%-Ziel) und hatte schon in den Vorjahren mit 10% die höchste Steigerungsrate unter den 15 größten Rüstungsnationen. Aktuell wird auch über den Einsatz bewaffneter Drohnen der Bundeswehr diskutiert sowie über den Aufbau einer eigenen europäischen Armee mit zusätzlichem Verteidigungshaushalt.  Demgegenüber heißt es im Koalitionsvertrag: „Wir bleiben dem Frieden verpflichtet: Gerechte Gestaltung der Globalisierung. Nachhaltige Entwicklungspolitik. Mehr internationale Zusammenarbeit und Bekenntnis zur Abrüstung. Weitere Einschränkung von Rüstungsexporten:“
  • Mit mehr als 1 Dtzd. Auslandseinsätzen weltweit auf drei Kontinenten und zwei Weltmeeren dient die Bundeswehr längst nicht mehr nur der Landesverteidigung, sondern Deutschland will eine stärkere militärische Rolle in allen Konflikt- und Krisenregionen übernehmen und hat aktuell eine Fregatte sogar ins südchinesische Meer  entsendet, auch zur Sicherung der wirtschaftlichen Handelswege für die Exportnation Deutschland.
  • Deutschland ist weltweit der viertgrößte Waffenexporteur, nach USA, Russland  und Frankreich, noch vor China, die sich den weltweiten Waffenmarkt zu 76% aufteilen.. Entgegen dem weltweiten Trend  erhöhten die deutschen Rüstungskonzerne die Ausfuhr von Waffen und Kriegsgeräten in den letzten Jahren um 21% (gegenüber nur +15% der USA) und exportierten in 2020 für über 1 Mrd. € Kriegswaffen ins Ausland, eine Steigerung um 40% gegenüber dem Vorjahr. Trotz der restriktiveren Rüstungsexportrichtlinien werden wegen permanenter Verstöße gegen die Regeln auch Waffen  in Kriegs- und Krisenländern trotz Menschenrechtsverletzungen exportiert –  entgegen der Aussage im Koalitionsvertrag:  „Keine Rüstungsexporte in Krisengebiete“.

Fragen

Ist in Ihrem Wahlprogramm das Ziel enthalten, statt noch weiter aufzurüsten  eine energische Abrüstungs-Initiative politisch zu starten und die expansive deutsche Rüstungsproduktion einzuschränken? Werden Sie mit Ihrer Partei vor allem Waffen- und Rüstungsexporte in Kriegs- und Krisenländer sowie bei Menschenrechtsverstößen konsequent unterbinden – und wie soll dieses Ziel konkret umgesetzt werden?    

 Wie ist Ihre politische Haltung zu den erweiterten Auslandseinsätzen der Bundeswehr  in allen Konflikt- und Weltregionen (einschließlich Südpazifik) sowie auch zur militärischen  Sicherung der Rohstoffe und Handelswege aus Wirtschaftsinteressen?

 Und wie stehen Sie persönlich zur Aufstockung des deutschen Verteidigungsetats auf 2% des BIP (= 85 Mrd. €) sowie zum parallelen Aufbau einer europäischen Armee (mit einem eigenen Anfangsetat von 5 Mrd. €, aus dem ohne Parlamentsbeteiligung bereits Rüstungsexporte finanziert werden)?

Sicherheits- und Friedenspolitik

  •  Derzeit ist das Thema Abrüstungs- und Entspannungspolitik nicht mehr auf der politischen Agenda in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik, entgegen den eindeutigen Wünschen und Forderungen einer großen Bevölkerungsmehrheit laut allen Umfragen. Das Verhältnis zu Russland und die Spannungen und Bedrohungen übertreffen mittlerweile sogar die Zeiten des „kalten Krieges“. Eine Strategie zur Überwindung der Konfliktspirale ist nicht erkennbar, auch keine neue Verständigung mit Russland.
  • Sicherheitspolitik wird politisch fast ausschließlich in militärischen Kategorien definiert und beschränkt sich auf die Außenbeziehungen unter geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen und Konkurrenzsituationen (unter nationalen und kontinentalen Eigeninteressen). Eine ganzheitliche Sicht unter Einbezug fairen Handels, Entwicklungspolitik, Partnerschaft und des Völkerrechtes und Interessenausgleichs kommt zu kurz. Ein von der Zivilgesellschaft getragenes Szenario  „Sicherheit neu denken: Von der militärischen zur zivilen Sicherheitspolitik“ wird bislang politisch nicht aufgegriffen.
  • Der zweite bundesweite Bürgerrat hat zur Deutschlands Rolle in der Welt aktuell folgendes erarbeitet: „Deutschlands Rolle in der Welt sehen wir zukünftig als faire Partnerin und Vermittlerin, die gemeinschaftlich mit anderen, insbesondere mit der EU, eine Welt gestaltet, in der auch zukünftige Generationen selbstbestimmt und gut leben können. Dazu setzen wir uns global für Nachhaltigkeit, Klimaschutz und die Wahrung der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Frieden und Sicherheit ein. (…) Deutschland soll zwischen Russland und den USA eine vermittelnde und friedensstiftende Rolle einnehmen.“

Fragen

 Welche Vorstellungen und Konzepte haben Sie und Ihre Partei von der künftigen Sicherheits- und Friedenspolitik sowie Außen- und Entspannungspolitik, die über die Verteidigungspolitischen d.h. militärischen und wirtschaftlichen Kategorien und geopolitischen Eigeninteressen hinausweisen?

 Und wie will ihre Partei einer  weiteren Militarisierung der Außenpolitik entgegenwirken und dabei die Zivilgesellschaft und die Friedensbewegung mit einbeziehen, um friedensethischen Fragen und Konzepten mehr Beachtung zu geben?

Soziale Frage / Armuts- und Reichtumsverteilung / Würdige Arbeit/ Bezahlbares  Wohnen als neue Soziale Frage

 Soziale Frage / Armuts- und Reichtumsverteilung

  •  Seit dem Jahr 2000, also seit 20 Jahren, verzeichnet Deutschland einen rasanten Anstieg von Armut und sozialer Ungleichheit, so stellte die OECD fest. Der alljährliche Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung über die Lebenslagen in Deutschland zeigt die anhaltende und zunehmende soziale Schieflage auf, die sich in zurückliegenden 20 Regierungsjahren unter verschiedenen Regierungskoalitionen immer weiter verschlimmert hat, ohne dass versprochene Verbesserungen eingetreten sind, im Gegenteil: Stetige Zunahme der ungleichen Einkommens- und Vermögensverteilung, der Kinderarmut, Altersarmut, Obdachlosigkeit, Mietpreissteigerungen und Wohnsituation, überschuldeten Haushalte, Armenspeisungen an Tafeln und Suppenküchen, Bildungsbenachteiligung usw. .
  • Im Koalitionsvertrag steht zwar das Ziel „Wir bekämpfen Kinderarmut“, die im März 2018 von der Bundeskanzlerin als „ Schande in einem reichen Land wie Deutschland“ bezeichnet wurde. Deshalb wollte sie erklärtermaßen die Gesellschaft bis zum Ende der Legislaturperiode „menschlicher machen“ – zumal Kinder nach den allgemeinen Menschenrechten Anspruch auf besondere Fürsorge, Unterstützung und sozialen Schutz haben. Doch in den 16 Jahren ihrer Regierungszeit (überwiegend mit der SPD als Koalitionspartner) ist im Ergebnis eher das Gegenteil bewirkt worden. Auch bis zum Ende der Wahlperiode sind mit nur geringfügigen finanziellen Nachbesserungen für Kinder und Familien die Ziele nicht erreichbarn, obwohl im Koalitionsvertrag steht: „Familien und Kinder im Mittelpunkt“:
  • Über 4 Mio. Kinder und 3 Mio. Rentner sind bereits heute von Armut Allein während der Regierungsära Merkel ist die Kinderarmut von 14% auf 20% und die Zahl der Armutsrentner von 11% auf 19% angestiegen sowie die Zahl der Obdachlosen auf ca. 700.000 angewachsen. Und die Zahl derjenigen Bedürftigen, die auf Tafeln oder Suppenküchen angewiesen sind, hat sich von 0,5 Mio. auf 1,5 Mio. verdreifacht. Und das nicht erst seit der Pandemie, bei der die ohnehin sozial Benachteiligten nochmalige Verlierer sind und die Arbeitslosigkeit wieder steigt. Hinzu kommen die regionalen Divergenzen: Die Emscher-Lippe-Region als Armutsregion ist bundesweit die Problemregion Nr. 1 mit einer Armutsquote von 22,4 bis 26%. Die soziale Frage ist die größte Herausforderung der Politik, die bisher nur halbherzig und erfolglos an Symptomen kuriert hat.
  • Der jüngste Armutsbericht vom 18. Januar 2021 bestätigt die Befürchtungen, dass die noch nicht absehbaren sozialen Folgen der Pandemie dramatisch werden könnten. Und zur bisherigen Vermögensverteilung heisst es: „Am oberen Ende der Einkommensverteilung zeigte sich, dass etwa 8 Prozent der Bevölkerung über mindestens das Doppelte des mittleren Äquivalenzeinkommens verfügten, etwa 2 Prozent über das Dreifache oder mehr. Die Anteile lagen seit dem Jahr 2005 konstant auf diesem Niveau. Betrachtet man die Haushalte nach der Höhe des Vermögens, entfielen auf die Haushalte in der unteren Hälfte der Verteilung rund 1 Prozent des gesamten Nettovermögens, während die vermögensstärksten 10 Prozent der Haushalte über die Hälfte des gesamten Nettovermögens auf sich vereinten“. Die wenigen Reichen besitzen also fast alles und Millionen Menschen besitzen fast nichts. Die Hartz-IV-Sätze sind zuletzt um 7,-€ erhöht worden.
  • Notwendige Finanzmittel für Investitionen für Soziales und Bildung gehen auch deshalb verloren, weil Steuerflucht, Steuervermeidung und –betrug sowie Steueroasen politisch nicht energisch genug bekämpft werden. Allein durch Steuerflucht gehen jährlich geschätzte 100 Mrd. € verloren und fehlen dem Sozialhaushalt, wo die Mittel dringend benötigt werden.

Fragen

Welches sozialstaatliche Gesamtkonzept mit welchen wirksamen Maßnahmen und Reformvorhaben hat sich ihre Partei vorgenommen für eine Beseitigung der sozialen Ungleichheit und der Armutsentwicklung sowie für eine gerechtere Einkommens- und Vermögensverteilung z. B. über die Steuerpolitik etc.?

 Wie wollen Sie die gesellschaftliche Teilhabe der sozial Benachteiligten bzw. die  Aufhebung ihrer Benachteiligung in allen Bereichen  – einschließlich gleicher Bildungschancen unabhängig von Herkunft und Einkommen –  politisch erwirken?

 Welchen Stellenwert sollen die folgenden Themen in Ihrem Regierungsprogramm einnehmen:  Erbschafts- und Vermögenssteuer, Bürgerversicherung, armutsfeste Rente, Alternativen zu Hartz IV, Rückführung privatisierter Gesundheits- und Sozialeinrichtungen in die öffentliche Hand?

 Würdige Arbeit

  •  Während der Pandemie sind die unzumutbaren Arbeitsbedingungen in den Alten- und Pflegeheimen, in den Schlachtbetrieben sowie bei den Online- und Lieferdiensten in das Brennglas der öffentlichen Aufmerksamkeit geraten, die vorher über Jahrzehnte politisch hingenommen wurden. Über Beifallsbekundungen hinaus gab es zwar politische und gesetzliche Bemühungen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Bezahlung, aber nur mit  begrenztem Erfolg. Dabei werden die betroffenen Selbständigen und Kulturschaffenden vergessen, die nicht abgesichert sind und teilweise ins Bodenlose fallen. Der gewerkschaftliche Kampf um das Recht auf Arbeit,  faire und gerechte Löhne und menschenwürdige Arbeitsbedingungen sowie soziale Absicherung und verbesserte Mitbestimmungsrechte stößt auf immer neue Herausforderungen angesichts längst überwunden geglaubter Verhältnisse mit sklavenähnlichen Abhängigkeiten.
  • Zugleich traten die gnadenlose Ökonomisierung des überlasteten Gesundheitssystems sowie die generelle Problematik der Zeit- und Leiharbeit und der Mindestlöhne in unsicheren und prekären sowie ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen zutage, die sich fernab von „Normalarbeitsverhältnissen“  bewegen  – mit dem Effekt:„Arm trotz Arbeit“.  Demgegenüber strebte der Koalitionsvertrag „Gute Arbeit und soziale Teilhabe“ an, zu dem es nur einzelne kleine Schritte zur Verbesserung gab, die aber die grundlegenden Probleme nicht nachhaltig beseitigen. Vor allem sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer trotz lebenslanger Berufstätigkeit immer noch nicht hinreichend vor Altersarmut geschützt.
  • Auch mit Blick auf die ärmeren Länder weltweit sind produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige gute Arbeit für alle, die nicht krank macht und  mit einer Bezahlung honoriert wird, von der die Menschen ihren Lebensunterhalt (ohne Kinderarbeit)  bestreiten können,  in den öffentlichen Fokus geraten. Dennoch hat sich die Regierung schwer getan, den UN-Vertrag zu unterscheiben, in dem  die verbindlichen Menschenrechtsnormen für transnationale Konzerne und Unternehmen festgelegt werden, um die Menschen in ärmeren Ländern vor Ausbeutung, aber auch vor Landvertreibung, Korruption oder Bedrohung ihrer Gewerkschaftsvertreter  zu schützen
  • Unser Ziel als Halterner Forum für Demokratie, Respekt und Vielfalt ist würdige Arbeit. Wir wollen den Schwachen eine Stimme geben. Würdige Arbeit ist gekennzeichnet durch einen sicheren Arbeitsplatz mit einem festen und verlässlichen Einkommen in ausreichender und gerechter Höhe, das nicht zu Altersarmut führt. Ein Arbeitsplatz, an dem man vor körperlicher Beeinträchtigung geschützt ist. Das ist aber nicht alles: der Würde des Menschen in der Arbeit ist eine interessante, abwechslungsreiche und sinnhafte Arbeit förderlich, eine Tätigkeit, auf die man stolz sein kann. Eine, die mit guten sozialen Beziehungen zu KollegInnen und VorgesetztInnen einhergeht. Die Möglichkeiten bietet, selbst Einfluss auf Arbeitsinhalt und ‑ablauf nehmen (Partizipation) und sich weiterentwickeln zu können (Lernen in der Arbeit).

Fragen

Mit welchen politischen Konzepten und konkreten Maßnahmen wollen Sie und Ihre Partei würdiger Arbeit mit fairer Bezahlung zum Durchbruch verhelfen?

 In welcher Weise wollen Sie dabei mit Gewerkschaften, Sozialverbänden, Betriebsräten und Betroffenen eng zusammenarbeiten und auf die Wirtschaft einwirken, um für alle Unternehmens -und Beschäftigungsformen die Mitbestimmung und ihre Erweiterung gesetzlich zu gewährleisten?

 Was halten Sie von der Idee, über steuerliche Anreize einerseits und Aufschläge anderseits (im Sinne staatlicher Bonus-Malus-Regelungen oder Zertifizierungen) die Betriebe nach den jeweiligen Arbeitsbedingungen und der Mitbestimmungspraxis staatlicherseits zu belohnen oder zu sanktionieren?

 Bezahlbares Wohnen als neue Soziale Frage

  • Im Koalitionsvertrag ist die derzeitige Regierung angetreten, mit einer „Wohnraumoffensive“ (für 1,5 Mio. neue Wohnungen und Eigenheime) für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen und die Kommunen bei ihren Bemühungen zu unterstützen. Mit einem „Wohnungsgipfel“ und einem „Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen“ sollte dem Vorhaben Nachdruck verliehen werden. Der Innenminister als Wohnungsbauminister hatte im Februar 2021 auf dem Wohngipfel eine positive Bilanz des „größten Wohnungsbauprogramms seit dem 2. Weltkrieg“ (mit 1,2 Mio. Wohnungen bis Ende 2021) gezogen und das angepasste Wohngeld und Baukindergeld hervorgehoben.
  • Die Opposition, die Sozialverbände und die Mieterverbände kritisierten jedoch, dass nur 25.000 Sozialwohnungen gebaut wurden, das sind nicht einmal 9% der neu gebauten Wohnungen. Zugleich sind fast 65.00 bestehende Sozialwohnungen aus der Sozialbindung gefallen. Die frei finanzierten Neubauwohnungen sind für viele nicht bezahlbar. Das Ziel von 100.000 zusätzlichen Sozialwohnungen wurde glatt verfehlt und die Bilanz schön gerechnet. Insgesamt sind 300.000 Wohnungen zu wenig gebaut worden, wie sogar die Immobilienwirtschaft als Defizit bemängelte. Versprochen wurden etwa 375.000 neue Wohnungen pro Jahr. 2019 wurden aber nur 293.000 Wohnungen fertiggestellt, im Jahr davor waren es gut 283.000.
  • Unverändert gibt es einen großen Mangel an bezahlbaren Mietwohnungen nicht nur in Ballungsgebieten und großen Städten, sondern mittlerweile auch im ländlichen Umland der Städte und Ballungsräume, wie etwa auch in Haltern als extrem teure Wohnstadt für Mieter wie für Hausbauer und als Tummelplatz für Grundstücksspekulanten. Eigenheime sind für junge Familien unerschwinglich, die Kauf- und Grundstückspreise verdoppeln sich alle 10 Jahre. In den Städten werden Immer mehr Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt oder luxussaniert. Und immer mehr Wohnungen gelangen in das Eigentum großer Wohnungsbaukonzerne; die meisten städtischen Wohnungen wurden privatisiert. Immer mehr Mieter werden aus ihren angestammten Wohnquartieren verdrängt. Der „Wohnungsmarkt“ ist den Marktkräften geradezu ausgeliefert, die am spekulativen Immobilienmarkt ungebremst walten.
  • Fast überall explodieren die Mietpreise und der „Mietendeckel“ hat sich nur sehr begrenzt als wirksam erwiesen. Statt Gesetze zur dauerhaften Mietsenkung und Rechtssicherheit für das Wohnen zu erlassen, geht Bauminister Seehofer gegen den Mietendeckel vor. Im April 2021 ist der Berliner Mietendeckel vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden, weil es Aufgabe des Bundes sei, ein wirkungsvolles Mietpreisrecht mit Sozialverträglichkeit für Mieter neu zu entwickeln. In Berlin läuft ein Volksbegehren zur Enteignung der Wohnungskonzerne, die sich Hunderttausende Wohnungen angeeignet haben und ihren Aktionären hohe Dividenden abwerfen sollen. Bei den Schuldnerberatungen erweisen sich oftmals die unbezahlbaren hohen Mietpreise und Mieterhöhungen als Schulden- und Armutsursache. Vereinzelt kommen wieder „Hausbesetzungen“ und drastische Mieterproteste auf. Die Wohnungsfrage ist zur sozialen Frage Nr. 1 geworden und das Grundrecht auf Wohnen scheint in Gefahr zu geraten.

Fragen

Wie will ihre Partei das drängende Problem der bezahlbaren Wohnungen in ausreichender Zahl konkret angehen, um das Grundrecht auf Wohnen schnellstmöglich zu gewährleisten?

 Wie will Ihre Partei die Rechte der Mieter notwendigerweise stärken?

 Wie wollen Sie die Grundstücks- und Mietpreisexplosion gesetzlich unterbinden? Gibt es ein Konzept Ihrer Partei für eine notwendige Bodenrechtsreform als grundlegende Voraussetzung für eine dauerhafte Preisdämpfung?   

Demokratie und Bürgerbeteiligung/ Lobbyismus/Rechtspopulismus

Demokratie und Bürgerbeteiligung

  •  Nach 72 Jahren ist der Eindruck entstanden: Unsere ermüdete parlamentarische Parteien-Demokratie bedarf einer „Frischzellenkur“ durch partizipatorische Weiterentwicklung, mehr Transparenz und verbesserter Wahlverfahren einschl. Wahlrechts- und Parlamentsreform: Umfragen zufolge fühlt sich die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger als Souverän von den gewählten Politikern nicht gehört und nicht repräsentiert. Ihr Vertrauen in Parteien, Regierungen und  Parlamente nimmt ab und damit sinkt auch die Wahlbeteiligung. Besonders groß ist die Kluft zwischen Jugendlichen und Politikern. Das Krisenmanagement der Corona-Krise hat das Vertrauen in die Politik zusätzlich erschüttert. Nur knapp 2% der wahlberechtigten Bevölkerung ist in demokratischen Parteien organisiert. Aber 60% bis 70% möchten mehr direkte demokratische Mitwirkungsmöglichkeiten.

Fragen

Welche Ideen, Vorschläge und Konzepte hat Ihre Partei, um bei den Bürgerinnen  und Bürgern sowie Jugendlichen verlorenes Vertrauen in eine wirklich repräsentative Demokratie zurückzugewinnen, die Wahlbeteiligung und –verfahren  zu verbessern und das Engagement in Parteien attraktiver zu machen?

Und wie wollen sie die überfällige Parlamentsreform (Verkleinerung des Bundestages) angehen?

 Wie stehen Sie und Ihre Partei zu verstärkter Bürgerbeteiligung einschließlich plebiszitärer Elemente auch auf der Bundesebene? Sind Ihnen dazu die 22 Empfehlungen des ersten bundesweitern Bürgerrates (vom September 2019) bekannt und wie bewerten Sie diese?

 Lobbyismus

  •  Politik- und Parteienverdrossenheit nehmen nicht zuletzt wegen aktueller und permanenter Lobbypolitik und Verquickung von Mandat und Geschäft zu, mit allzu großer Nähe von Politik und Wirtschaft. Die politische Glaubwürdigkeit und das Vertrauen sind vielfach erschüttert: Gehäufte Fälle mit lukrativer Nebentätigkeiten von Mandatsträgern bis hin zu Korruption und Bestechlichkeit, problematische Parteienfinanzierung, zu geringe Karenzzeiten und Einfluss von Lobbyisten auch auf Ministerien haben den Ruf nach einem transparentem Lobbyregister, strengeren Regeln und Strafbarkeit aufkommen lassen. Freiwillige Selbstverpflichtungen reichen offenbar nicht aus.

Fragen

Was soll Ihrer Meinung nach ein transparentes und verpflichtendes Lobbyregister alles enthalten? Und wie stehen Sie zu verschärfter Strafbarkeit für Bestechlichkeit und Korruption?

 Welche Einstellung haben Sie als Abgeordneter zu Nebentätigkeiten, deren Beschränkung und transparenter Offenlegung? Welche Karenzzeit zum Wechsel in die Wirtschaft nach Mandatsende halten Sie für angemessen?

 Welche Obergrenzen, Beschränkungen und welche Transparenz-Regeln halten Sie bei der Parteienfinanzierung für sinnvoll und erforderlich?

 Rechtspopulismus

  • Rechtspopulismus, Nationalismus und Rassismus sowie Antisemitismus haben bedenkliche Ausmaße angenommen und sogar Eingang in die Parlamente gefunden. Die nachlassende politische Diskursfähigkeit in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und in der veränderten Medienlandschaft führt zu Polarisierungen und Radikalisierungen. Die Gefahren für unsere Demokratie und das Zusammenleben werden teilweise unterschätzt.

Fragen

Mit welchen Strategien und Maßnahmen will ihre Partei dieser Fehlentwicklung entgegenwirken?

Und in welcher Weise  will sie dazu beitragen, die Gesellschaft wieder zu einem weltoffenen, liberalen, rechtsstaatlichen und menschenrechtskonformen demokratischen Klima mit politischer Diskursfähigkeit hin zu führen?

Was muss sich dazu Ihrer Meinung in der Bildungspolitik und Sozialpolitik ändern?  

 Umwelt- und Klimapolitik / Artenschutz und Biodiversität/ Mobilitäts- und Verkehrswende

 Umwelt- und Klimapolitik

  • 2020 war ein verlorenes Jahr für den Klimaschutz. Corona-bedingt fiel im letzten Jahr die Klima-Konferenz aus und wurde um ein Jahr vertagt auf November 2021 in Glasgow. Die Erderwärmung wurde nicht gestoppt, sondern das Jahr 2020 galt als das wärmste Kalenderjahr Europas. Die Treibhausgas-Emissionen erreichten 2019 einen Rekordwert von fast 60 Gigatonnen. Im rheinischen Braunkohle-Tagebau müssen weiterhin Dörfer dem Bagger weichen. Die Verantwortlichen begreifen nicht, dass Klimawandel nichts ist, was in der Zukunft stattfindet, sondern er ist bereits da und beeinflusst unser menschliches Leben. Extremwetterverhältnisse, Waldbrände und Gletscherschmelze brechen alle Rekorde. Der UN-Generalsekretär Guterres stellte im Dezember 2020 fest: „Der Planet ist kaputt“.
  • „Die Klimakrise stellt für die Stabilität der Ökosysteme unseres Planeten und für Millionen von Menschen eine existenzielle Bedrohung dar. Eine ungebremste Erderwärmung ist eine enorme Gefahr für Frieden und Wohlstand weltweit. Seit Beginn der Industrialisierung hat sich die Erde bereits um circa ein Grad Celsius erwärmt. Es bleibt daher wenig Zeit, den Klimawandel aufzuhalten und dadurch zu verhindern, dass die Kipppunkte im Klimasystem überschritten werden. Tun wir das nicht, werden die verursachten Schäden weitaus höhere Kosten mit sich bringen als alle Investitionen in konkrete Maßnahmen zur Vermeidung der Klimakatastrophe“ (Fridays for Future).
  •  Fridays for Future fordert deshalb die konsequente Einhaltung der Ziele des Pariser Abkommens und des 1,5°C-Ziels. Dazu müsse Deutschland bei den Treibhausgasen bis 2035 Nettonull erreichen, den vollständigen Kohleausstieg bis 2030 vollziehen und bis 2035 die Umstellung auf 100% erneuerbare Energie erreicht haben. Entscheidend für die Einhaltung des 1,5°C-Ziels sei es, die Treibhausgasemissionen so schnell wie möglich stark zu reduzieren, indem ab sofort die Subventionierung für fossile Energieträger beendet und ein Viertel der Kohlekraftwerke abgeschaltet wird sowie eine CO²-Steuer auf alle Treibhausgas-Emissionen in Höhe von 180 €pro Tonne CO² erhoben wird.
  • Der aktuelle klimapolitische Kurs der Bundesrepublik ist von dem verbindlichen Ziel des Pariser Abkommens noch weit entfernt und getroffene Entscheidungen gehen zu Lasten ärmerer Regionen und nachfolgender Generationen. Die bislang vorgesehen Maßnahmen reichen bei weitem nicht aus, um die Höchstmengen klimaschädlicher Treibhausgase in den einzelnen Bereichen einzuhalten und es fehlt an einem ehrgeizigen Programm zur Zielerreichung. Die nachhaltige Zusammenarbeit auf europäischer und globaler Ebene und sofortige Handlungsinitiativen auf kommunaler, regionaler und Landes- und Bundesebene bedürfen der höchsten Priorisierung, um die ambitionierten Ziele für eine Wende zu erreichen, unter Einbeziehung der jungen Menschen in die demokratischen Entscheidungsprozesse für ihre lebenswerte Zukunft.

Fragen

Wie will ihre Partei die (bislang unzureichenden) politischen und gesetzlichen Zielvorgaben für den Klimaschutz wesentlich ambitionierter, konsequenter und prioritärer ausrichten, um die (größtenteils verfehlten) Pariser Klimaziele tatsächlich zu erreichen? Wie wollen sie vom bloßen Reden zum wirkungsvollen Handeln kommen?

 In welcher Weise gedenkt ihre Partei, die besonders betroffene junge Generation in die politischen Entscheidungsprozesse stärker einzubinden und die von der Jugend geforderte strikte Orientierung an den wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht länger zu ignorieren?

 Wie wollen Sie dazu beitragen, dass Klimaschutz im Wahlkampf nicht bloß als ideologisch gefärbter Parteienstreit mit gegenseitigen Schuldzuweisungen thematisiert wird, sondern als parteiübergreifendes und  gesamtgesellschaftliches Kernanliegen in der Verantwortung aller behandelt wird?   

Artenschutz und Biodiversität

  • Der alarmierende UN-Weltbericht von 2019 hat die erschreckenden Ausmaße der fortschreitenden Landschafts- und Naturzerstörung mitsamt dem dramatischen Artensterben verdeutlicht: Der immense Flächenverbrauch durch Zersiedelung, die industrialisierte Landwirtschaft und das Abholzen von 100 Mio. ha Regenwald – hierbei gehören Europas und Deutschland zu den größten Waldzerstörern auf der Weltrangliste – sind ebenso zerstörerisch wie die Klimakrise, wie der Weltbiodiversitätsrat untersucht hat. Deshalb vollzieht sich der  Niedergang der Natur in einem Atem beraubenden und bisher nie dagewesenen Tempo. Der „Flächenfraß“ mit seinen Begleiterscheinungen  ist ebenso zerstörerisch wie die Klimakrise. Es bedarf deshalb  gleichgewichtiger Gegenmaßnahmen zur deutlichen Reduktion des anhaltenden Flächenverbrauchs an allen Orten.
  • Andernfalls wird das Ökosystem der Erde immer weiter und schneller zerstört. Das  von Menschen verursachte erschütternde Ausmaß des dramatischen Artensterbens wird bereits sichtbar:  Von 8 Mio. Tier- und Pflanzenarten sind bis zu 6 Mio. bereits vom Aussterben bedroht. Kein einziges Ziel der Biodiversitäts-Konvention (als völkerrechtlicher Vertrag) wurde erreicht. Und die Massentierhaltung sowie der Fleischkonsum beschleunigen die negative Entwicklung. In Deutschland hat sich während der letzten 60 Jahre zudem  die Siedlungs- und Verkehrsfläche mehr als verdoppelt. Davon sind ca. 50% vollständig versiegelt. Jede Sekunde werden irgendwo im Bundesgebiet weitere 8 m² für neue Siedlungs- und Verkehrsflächen beansprucht, das sind über 100 ha Hektar pro Tag.
  • Dabei sollte die weltweite Pandemie die Menschen gelehrt haben: Die Wiederholungsgefahr des Überspringens gefährlicher Viren aus der Tierwelt auf den Menschen infolge ökologisch bedrohter natürlicher Lebensräume ist zu vermeiden. Flächenschutz ist Artenschutz und Klimaschutz sowie Gesundheitsschutz (Pandemie-Vorbeugung). Da sich jedoch in Jahresringen die Landschaftszersiedelung und der Flächenverbrauch für Wohnen, Gewerbe und Verkehr  insbesondere durch die expansive kommunale Siedlungspolitik immer weiter fortsetzen, bedarf es sofortiger Maßnahmen zum Flächenschutz, weil die Natur mit ihrer biologischen Vielfalt bedroht ist.
  • Die Dramatik dieses Problems wird von den politischen Entscheidungsträgern unterschätzt und vor allem bei den Kommunen ist das Alarmsignal noch nicht angekommen, (ebenso nicht bei der Regional- und Landesplanung in NRW). Die EU hat demgegenüber die „Biodiversitätsstrategie 2030“ zur Chefsache erklärt; außerdem soll 30% der Flächen unter Schutz gestellt werden. Deutschland wird jedoch von der EU vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt, weil es weder das 30% Ziel erreicht hat noch die  Habitat-Richtlinie zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen beachtet, obwohl die Umsetzungsfrist seit 10 Jahren abgelaufen ist.  Zudem hat die Deutsche Umwelthilfe die Bundesregierung nun beim OVG auf die Einhaltung der Klimaziele in den Sektoren Energie, Industrie, Gebäude und Landwirtschaft verklagt.
  • Die deutsche Regierung hat zwar eine „Nachhaltigkeitsstrategie 2030“ im Koalitionsvertrag verankert. Danach soll u. a. der Flächenverbrauch bis 2030 halbiert werden und bis 2050 durch Flächenkreislaufwirtschaft auf netto Null reduziert werden. Doch an der konsequenten Umsetzung der verbindlichen Vorgaben hapert es auf allen Ebenen. Lediglich zu den (unzureichenden) Klimazielen  hat z.B. die NRW-Landesregierung per Gesetz verordnet, dass die Kommunen künftig alle Planungen und Vorhaben einem Klima-Anpassungscheck unterziehen müssen. Für den Flächenverbrauch gilt das noch nicht, so dass viele Zielvorgaben vorerst nur auf dem Papier stehen.

Fragen

Mit welchen Schritten und Maßnahmen will ihre Partei dafür sorgen, dass die deutsche „Nachhaltigkeitstrategie 2030“ und die „Biodiversitätsstrategie 2030“ der EU zugunsten des Flächen- und Artenschutzes künftig auf allen Ebenen konsequent eingehalten und nicht länger vernachlässigt wird?

 Wie erklären Sie sich das Politikversagen, dass die Bundesrepublik auch 10 Jahre nach Fristablauf die Zielvorgaben der EU für die Schutzflächen nicht erreicht bzw. komplett verfehlt hat  –  und deshalb vor dem EU-Gerichtshof verklagt wird – und was soll politisch (möglichst unter Einbeziehung der Umweltverbände) geschehen, damit dies in Zukunft vermieden wird?

 Mobilitäts- und Verkehrswende

  • Der Verkehr ist für ein Fünftel (in Europa sogar für ein Drittel) der Treibhausgas-Emissionen Im Gegensatz zu anderen Sektoren hat sich der CO²-Ausstoß im Verkehr nur unzureichend verringert. Auch die Luft in vielen Städten ist durch Feinstaub etc. gesundheitsgefährdend schmutzig. Laut einer neuen Untersuchung des Max-Planck-Instituts für Chemie kommen deutschlandweit rund 120.000 Menschen jährlich aufgrund von Feinstaub vorzeitig ums Leben. Verantwortlich dafür sind die fossilen Verbrennungsmotoren von PKW und LKW.  In 2019 wurden ca. 387.000 Personen durch Unfälle im deutschen Straßenverkehr verletzt, allein in NRW wurden 71.000 Personen verletzt oder getötet. Im Jahr 2000 gab es bundesweit rund 3.000 Verkehrstote zu verzeichnen.
  • Die Umweltverbände beklagen, dass eine echte Mobilitätswende und Transformation im Verkehrssektor weder in der EU-Strategie (während der deutschen Ratspräsidentschaft) noch bei den Konzepten des deutschen Verkehrsministeriums unter Minister Scheuer erkennbar ist. (Mit seiner Verkehrspolitik sind Umfragen zufolge 75% der Bevölkerung unzufrieden). Zwar gebe es angestrebte  Verbesserungen beim Bahnverkehr und Nahverkehr und für attraktivere Bahnhöfe (mit den bislang höchsten Fördergeldern). Aber trotz der propagierten Elektromobilität sei die Regierung immer noch „zu autofixiert zur Rettung des Verbrennungsmotors mit Hilfe strombasierter Kraftstoffe“, aber auch beim Fernstraßenausbauprogramm oder bei der wenig nachhaltigen Gestaltung des städtischen Lieferverkehrs. Jedes 5. neu zugelassene Auto ist ein umweltschädigender SUV, obwohl ihr Verbrauch 25% über dem eines normalen PKW liegt.
  • Auch beim Abbau umweltschädlicher Subventionen (Dieselprivileg) und bei der mangelnden Anlastung der Umweltkosten an alle Verkehrsträger (z.B. durch LKW-Maut und Klimaabgabe) sowie bei der Verlagerung des Güterverkehrs auf Schiene und Schiff sei die Bundesverkehrspolitik  zu zögerlich und inkonsequent. Die Schadstoffbelastungen in vielen Städten werden weiterhin überschritten, so dass es zu Klagen der Umwelthilfe kommt. Die Einschränkung des umweltbelastenden und  weiterhin hoch subventionierten Flugverkehrs oder zumindest die Erhebung einer Kerosinsteuer oder ein Fluglärmgesetz sind kaum ein Thema. Umweltschützer fordern die Schließung kleiner Flughäfen.
  • Die Offensive für den Öffentlichen Nahverkehr und den Radverkehr geht nach Auffassung der Kritiker und Verbände trotz erhöhter Fördergelder und -programme zu schleppend voran, weil Fuß- und Radwege sowie Nahverkehr immer noch keinen Vorrang vor dem Autoverkehr haben und das Parken in den Innenstädten nicht eingeschränkt und verteuert wird. Der Stadtumbau gehe nur zögerlich voran. Der „nationale Radwegeplan“ mit Steigerung des Radverkehrs von 10% auf 15% sei nicht ambitioniert genug. Auch die Verkehrssicherheit für die Radfahrer sei laut Unfallstatistik unzulänglich. Einen Nulltarif für den ÖPNV (nach dem Vorbild von Luxemburg und einigen europäischen Großstädten)  lehnte  Verkehrsminister Scheuer auf dem Mobilitätsgipfel „Mobilität 2030“ ab, obwohl schon 2018 die beiden  damaligen Bundesminister für Umwelt, Verkehr und  der Kanzleramtsminister dazu einen Modellversuch in 70 deutschen Städten starten wollten.

Fragen

Welchen Stellenwert nimmt in Ihrem Parteiprogramm die Verkehrs- und Mobilitätswende mit welchen Strategien, Prioritäten, Schwerpunkten und Maßnahmen ein?

Was wird sich gegenüber der bisherigen Verkehrspolitik ändern? Wo wollen sie um- oder nachsteuern und welche zeitliche Zielvorstellungen bestehen für Umsteuerung in den die einzelnen Verkehrssektoren und deren Verknüpfung?

 Wo liegen ihren Meinung nach die größten Defizite und Handlungsbedarfe und wo der größte Finanzierungsbedarf?

 

 „Halterner Forum für Demokratie, Respekt und Vielfalt“ 2021

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