12.11.2021 in Haltern: Veranstaltung zum Gedenken an die Reichspogromnacht 1938
Die Erinnerung an den 9. November 1938 gehört zum festen Bestandteil der Kultur in Haltern am See. Auch in diesem Jahr versammelten sich viele Bürgerinnen und Bürger auf Einladung des Forums für Demokratie, Respekt und Vielfalt sowie des Asylkreises auf dem Halterner Marktplatz, um gegen Faschismus, Antisemitismus und Rassismus zu demonstrieren und für eine demokratische Gesellschaft einzutreten. Jürgen Wolter von der Halterner Zeitung berichtet darüber am 15.11. (am 13.11. online).
Auf der Veranstaltung sprachen David Tourgman (jüdische Gemeinde Recklinghausen), Schülerinnen und Schüler der weiterführenden Halterner Schulen, Pfarrer Michael Ostholthoff und Bürgermeister Andreas Stegemann. Durch die Veranstaltung führte Herbert Bludau-Hoffmann. Musikalisch gerahmt wurde die Gedenkveranstaltung durch auch inhaltlich passende Beiträge der Band „Motel„.
Einen Live-Mitschnitt der Veranstaltung kann man hier ansehen (danke an Thomas Rath):
Persönliche Eindrücke…
Auf dem Marktplatz fiel mein Blick sofort auf die Fotoprojektionen von Thomas Rath [1]Die Fotos zeigen Ereignisse der Nazizeit in Haltern. Stadtarchivar Gregor Husmann hat die Fotos zur Verfügung gestellt; Thomas Rath fügte sie zu einer Videoinstallation zusammen.. In den vier oberen Fenstern des alten Rathauses waren Bilder zu sehen, die u.a. zeigen, wie sich während der Zeit des Nationalsozialismus die Nazis auf dem Marktplatz in Haltern versammelten, offensichtlich mit einigem Publikum. Fotos können allerdings kaum zeigen, dass die Nazis nach 1933 den Stadtrat dominierten.
David Tourgman, der für die jüdische Gemeinde Recklinghausen sprach, wies darauf hin, dass der Antisemitismus nach wie vor lebendig ist. Dass jüdische Synagogen und Museen durch Polizeipräsenz vor Angriffen geschützt werden, dass jüdische Bürger Angst haben, sich öffentlich zu ihrem Glauben bekennen, weil sie Diskriminierung oder gar Gewalt befürchten, all das zeigt, dass ein Eintreten für Demokratie, für Respekt, für Vielfalt, täglich notwendig ist.
Die Schüler:innen trugen unter anderem einen mich sehr berührenden Text vor, der schildert, wie der damals elfjährige Alexander Lebenstein die Pogromnacht erlebte, welche Todesängste er in dieser Nacht und in vielen folgenden Tagen und Nächten auszustehen hatte. Alexander Lebenstein überlebte als einziger der Halterner Juden den Holocaust. [2]Alexander Lebenstein verstarb 2010 in den USA; er wurde 2008 Ehrenbürger der Stadt Haltern.
… und Fragen
Die Fotos zeigen die Naziaufmärsche vor dem Rathaus; man sieht, wie die Nazis dort posieren, ihre Macht demonstrieren und sie genießen. Die Bilder lösen bei mir Fragen aus:
Wer machte in der Pogromnacht mit? Wer zerstörte die Wohnungen, wer schlug die verfolgten Menschen, wer klatschte Beifall?
Wer tat nichts? Wer half? Wer missbilligte die Taten gegen die Menschlichkeit?
Wer dachte: Ich kann nichts tun? Und konnte man wirklich nichts tun?
Wer profitierte – durch Aufstieg in politische Ämter oder berufliche Positionen, durch Aneignung jüdischen Eigentums?
Ich habe auf die Fragen wenig klare Antworten. [3]Bei Recherchen konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass man in Haltern sehr viel mehr über die Römerzeit erfahren kann und weiß als über die Zeit des Nationalsozialismus. Informativ ist … Continue reading
Das Stolpersteine-Plakat des Forums für Demokratie, Respekt und Vielfalt soll auch zwischen den jährlichen Gedenkveranstaltungen die Erinnerung an die drangsalierten, deportierten und schließlich ermordeten jüdischen Mitbürger und Mitbürgerinnen Halterns wachhalten (mehr Informationen hier: https://forumdrv.de/stolpersteine)
Text: Werner Nienhüser. Die Ansichten des Verfassers geben nicht unbedingt die Meinung des gesamten Forums oder seiner Mehrheit wieder.
Anmerkungen
↑1 | Die Fotos zeigen Ereignisse der Nazizeit in Haltern. Stadtarchivar Gregor Husmann hat die Fotos zur Verfügung gestellt; Thomas Rath fügte sie zu einer Videoinstallation zusammen. |
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↑2 | Alexander Lebenstein verstarb 2010 in den USA; er wurde 2008 Ehrenbürger der Stadt Haltern. |
↑3 | Bei Recherchen konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass man in Haltern sehr viel mehr über die Römerzeit erfahren kann und weiß als über die Zeit des Nationalsozialismus. Informativ ist das im Jahr 2020 erschienene Buch von Ortwin Bickhove-Swiderski: Die Anfänge der NS-Zeit in Haltern am See – und der Fall Bernard Gewert aus Sythen. Dülmen: Laumann-Verlag. Der Autor weist unter anderem darauf hin, dass bisher wenig über die Ermordung psychiatrischer Patienten aus Haltern bekannt ist; s. S. 154-156. Siehe auch Stelbrink, Wolfgang (2004): Westfalen im Nationalsozialismus (1933-1939), https://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/portal/Internet/input_felder/langDatensatz_ebene4.php?urlID=40&url_tabelle=tab_websegmente, abgerufen am 15.11.2021 |
In der Nachbargemeinde Reken hat Ulrich Hengemühle in Zusammenarbeit mit dem Heimatverein Reken (Herausgeber) in nunmehr 3 Bänden auf diese und ähnliche Fragen versucht, Antworten zu finden. Denn, wie in Haltern, gab es auf seine Fragen nur wenig klare Antworten.
2017 begann er mit der lokalen Aufarbeitung der bis dahin im Verborgenen liegenden Zeit unter dem NS-Regime. Dabei interessierte er sich auch und in besonderer Weise für die Schicksale der Rekener Juden.
Der dritte Band mit dem Titel „Die Geschichte der jüdischen Gemeinde Reken von 1742 bis heute“ wurde am 9.11.2021 der Öffentlichkeit vorgestellt.
In den Jahren davor waren die Bände „Reken 1900 bis 1945“ und
„Mitten unter uns – Geraubte Leben in Reken 1933-1945“ erschienen.
Neben der Materialsuche in Archiven und Bibliotheken waren für ihn vor allem – nicht nur für den zuletzt erschienenen Band – die unter hohem Aufwand zustande gekommenen persönlichen Kontakte zu noch lebenden Nachkommen Betroffener bzw. von Zeitzeugen von sehr großer Bedeutung.
Vielleicht könnten die Erfahrungen aus seiner Arbeit für die Beantwortung der Fragen, für die wir in Haltern keine hinreichenden Antworten finden, hilfreich sein?
Kontakt kann auf Wunsch hergestellt werden.
Lieber Gerhard,
danke für die interessanten Hinweise. Ich nehme Kontakt auf.
Gruß, Werner Nienhüser
ich hätte gern eine Adresse von Herrn Tourgman. Ich habe für Reken gerde eine „Geschichte der jüdischen Gemeinde reken 1742 bis heute“ veröffentlicht.
Hier werden am 26.1.. 10 Stolpesteine verlegt und die Gemeinde Reken tritt dem Riga Komitee bei.
Sehr geehrter Ulrich Hengemühle,
ich habe die Adresse nicht, kann sie aber vielleicht besorgen oder indirekt Kontakt. Nur will ich das hier nicht kommunizieren. Ich nehme auf andere Art zu Ihnen Kontakt auf.
Viele Grüße
Werner Nienhüser
Lieber Herr Hengemühle,
leider kann ich keine Email-Adresse von Ihnen finden. Könnten Sie mir eine Email schreiben an: werner.nienhueser@gmail.com? Dann könnte ich Kontakt wegen der Adresse herstellen.
Danke, viele Grüße
Werner Nienhüser