Menschenunwürdige Arbeitsbedingungen der LKW-Fahrer und Paketzusteller empörten die sozial engagierten Halterner
Beratungsnetzwerk „Faire Mobilität“ engagiert sich für Problemlösungen
von Wilhelm Neurohr[1]Der Artikel findet sich auch im „Lokalkompass“ und wurde durch WN mit einigen Links ergänzt.
HALTERN AM SEE: „Selten hat ein Vortrags- und Diskussionsabend im Halterner KönzgenHaus so große Empörung und Empathie hervorgerufen wie am Mittwoch beim Thema der Ausbeutung von LKW-Fahrern sowie Zustellern im Paketdienst mit ihren menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen“, resümierte Moderator Prof. Werner Nienhüser vom Halterner Forum. Als kompetenter Referent des DGB -Beratungsnetzwerkes „faire Mobilität“ gab Szabolcs Sepsi laut Veranstalter einen „erschütternden Einblick in einen von Ausbeutung geprägten Arbeitsalltag auf der Straße“.
Er schilderte: „Über Wochen leben die bei Subunternehmen beschäftigten und international eingesetzten LKW-Fahrer oft erschöpft im LKW ohne Dusche und Toilette und mit Essenszubereitung auf dem Gaskocher, für Löhne zwischen 700 und 900 € pro Monat, die ihnen oft nur unvollständig oder am Ende gar nicht ausgezahlt werden, oft ohne Einhaltung der Ruhezeiten und auch im kranken Zustand, ohne Zugang zu Gesundheitsdiensten sowie mit unbezahlten Überstunden“. Der Rechtsanspruch auf deutschen Mindestlohn von 12,41 € werde nicht eingehalten und die Ruhezeiten würden oft umgangen. „Wenn sich Betroffene wehren wollen, werden sie oft eingeschüchtert“, merkte der Referent an.
Beratungsangebote auf den Rastplätzen vor Ort
Zu diesem Thema eingeladen hatte die Forums-Arbeitsgruppe „Würdige Arbeit“ mit den Mitveranstaltern von KAB, DGB, VITUS und KönzgenHaus unter dem Titel. „Auf der Straße ist der Teufel los“. In der Tat erleben nach den eindrucksvollen Schilderungen von Szabolcs Sepsi die bei Subunternehmen prekär beschäftigten und gewerkschaftlich nicht organisierten Fahrer insbesondere aus Osteuropa, aber auch von Drittstaaten wie Belarus oder den Philippinen „sklavenähnliche Zustände wie in der Hölle“. Da sie nicht gewerkschaftlich organisiert sind, versucht die vom Bundesarbeitsministerium unterstützte DGB-Beratungsstelle „Faire Mobilität“ seit der EU-Osterweiterung 2011 an 13 Standorten und in 5 Landessprachen, vor Ort auf den Raststätten zu beraten zu unterstützen, wie Szabolcs Sepsi schilderte, da die Betroffenen kein Geld für Individualklagen haben.
Hungerstreik erwirkte Lohnnachzahlung
Europaweite Aufmerksamkeit erlangten die Menschenrechtsverletzungen voriges Jahr durch den monatelangen spektakulären Fernfahrerstreik mitsamt Hungerstreik von Fahrern aus Rumänien, Usbekistan, Kasachstan und anderen zentralasiatischen Republiken auf der hessischen A5-Raststätte Gräfenhausen, nachdem eine polnische Spedition ihren zustehenden Lohn monatelang wegen angeblicher Zahlungsunfähigkeit nicht ausgezahlt hatte. „Der Unternehmenschef drohte den Streikenden mit einer Strafanzeige wegen „Erpressung“ und erschien mit einem paramilitärischen Schlägertrupp“, rief Sepsi in Erinnerung. „Am Schluss bekamen sie ihre aufgelaufenen Löhne ausgezahlt.“
Auch Paketzusteller prekär beschäftigt
Szabolcs Sepsi richtete den Blick auch auf die Lieferdienste und Paketzusteller, die mit Ausnahme von dhl auch durchweg mit Subunternehmen arbeiten. „Von den 14.000 Paketlieferdiensten machen die 26 größten, allen voran Amazon, 80% des Umsatzes“. Als Paketzusteller seien überwiegend Personen aus der Türkei und dem arabischen Raum sowie Osteuropa zum Mindestlohn eingesetzt., die bis zu 250 Pakete pro Tag bis 20 kg mit digitaler Überwachung ausliefern müssten. Nur in einzelnen größeren Betrieben gebe es gewerkschaftlich Organisierte und teilweise einen Betriebsrat.
Diskussion über Problemlösungen
In der lebhaften Diskussion suchten die Anwesenden, darunter auch Hermann Hölscheidt als Vertreter der KAB, nach Problemlösungen aus der „Ausbeutung infolge der europäische Freizügigkeit“. Szabolcs Sebsi: „Die Gewerkschaft ver.di fordert die Abschaffung der Subunternehmen im Paketdienst, wie es zuvor schon in der Fleischindustrie erfolgreich gelungen ist mit Hilfe des NRW-Abeitsministers Laumann.“ Auch das neue Lieferkettengesetz wäre sehr hilfreich, wenn es in vollem Umfang zum Tragen komme. Auch das Postmodernisierungsgesetz habe bewirkt, dass ab 1. Januar 2025 beim Paketservice statt 30 kg-Pakete nur noch 20 kg-Pakete alleine zu stemmen seien.
Auch gebe es Eigeninitiativen der Betroffenen, wie eine Internet-Vernetzung der Fernfahrer und Selbsthilfegruppen, sowie einen Stammtisch der organisierten Fernfahrer bei ver.di. Ein Teilnehmer schlug eine mobile Arztpraxis für die Fernfahrer an den Raststätten vor. Unter den Anwesenden waren Beteiligte an den Initiativen „Nikolaus im Führerhaus“ und „Brücken bauen“, die sich auf den Rastplätzen an der Betreuung der Fahrer beteiligen.
Foto (von W. Neurohr): Referent Szabolcs Sepsi (DGB) vom Beratungs-Netzwerk „faire Mobilität“ mit KAB-Diözesansekretär Hermann Hölscheidt (links) und Moderator Prof. Dr. Werner Nienhüser vom Halterner Forum (rechts)
Anmerkungen
↑1 | Der Artikel findet sich auch im „Lokalkompass“ und wurde durch WN mit einigen Links ergänzt. |
---|