Management oder Missmanagement von zentralen Unterbringungseinrichtungen?

Der folgende Artikel ist in der Zeitschrift Amos (Heft 3, 2022) erschienen.

Eine ausführliche Fassung mit Quellenangaben etc. können Sie hier lesen und als PDF herunterladen. Weitere Informationen über ZUEn, Ankerzentren etc. und die Aktionen an denen das Forum beteiligt war finden Sie hier: https://forumdrv.de/category/ankerzentrum/

Werner Nienhüser[1]

Kontrolle ist besser….“ – wie werden die Dienstleister für die Unterbringungseinrichtungen für Geflüchtete kontrolliert?[2]

Schlechtes Management als eine Ursache von Missständen?

Sind die Missstände in den Unterbringungseinrichtungen für Geflüchtete auf schlechtes Management zurückzuführen? Schlechtes Management – es könnte sein, dass die Dienstleister, die die Einrichtungen betreiben nicht gut arbeiten; es könnte aber auch sein, dass die zuständigen staatlichen Stellen die Dienstleister nicht richtig auswählen, evaluieren, kontrollieren etc. Zu fragen ist daher: Wie und nach welchen Kriterien werden die Dienstleister, die die Unterbringungseinrichtungen betreiben, ausgewählt und kontrolliert (letztlich: gemanagt)? Die unhaltbaren Zustände machen diese Fragen notwendig: Immer wieder wird berichtet über räumliche Enge und Verletzung der Privatsphäre, Deprivation, Isolationsgefühle, Gewalt, manchmal auch durch das Personal der Betreiber. Kritiker sehen hier systembedingte, d. h. durch die Unterbringung in Sammelunterkünften verursachte Missstände und plädieren für dezentrale Unterbringungsformen. Kritisiert wird auch, dass viele Unterbringungseinrichtungen von privaten Unternehmen betrieben werden, die hohe Renditen erzielen wollten und daher Kosten zu Lasten der Qualität einsparten. Es setzten sich bei Ausschreibungen diejenigen Anbieter mit der geringsten Angebotssumme durch. Ob die (von staatlicher Seite) vorgegebenen Qualitätsstandards tatsächlich eingehalten werden, ließe sich kaum überprüfen.

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Wirtschaftswissenschaftliche Perspektive

In den Wirtschaftswissenschaften würde man bei dem Zustand der Unterbringungseinrichtungen Qualitätsprobleme vermuten und fragen, ob diese auf schlechtes Management, mangelhafte Kontrollsysteme und Fehler in der Kontrolle der Kontrolleure zurückzuführen sein könnten. Wirtschaftswissenschaftler nehmen im Allgemeinen an, dass alle Menschen egoistisch sind und versuchen, den eigenen Nutzen auch zu Lasten anderer zu maximieren. Man muss daher immer die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass ein Auftragnehmer die Leistung nicht wie vereinbart erbringt, sondern Kosten einzusparen und sich Kontrollen zu entziehen versucht. Gerade wenn schlechte Qualität schwer erkennbar ist und Informations-, Kontroll- und Anreizsysteme fehlen oder versagen, dann setzen sich die schlechten Anbieter wegen ihrer niedrigeren Preise am Markt durch. Als Lösung schlägt man aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht vor, sich systematisch Informationen über die Arbeit der Auftragnehmer zu verschaffen (Transparenz), Kontrollen durchzuführen sowie Sanktionen für Vertragsverletzungen und Anreize (Entlohnung etc.) für eine gute Auftragserfüllung festzusetzen. Auch für den kontrollierenden Auftraggeber oder andere, von ihm beauftragte Kontrolleure nehmen Wirtschaftswissenschaftler egoistisches, nutzenmaximierendes Verhalten an. Wer kontrolliert die Kontrolleure, ist dann die Frage.

Realität des Managements von Unterbringungsreinrichtungen

Die Vergabe von Aufträgen an Dienstleister, Flüchtlingsunterkünfte zu betreiben, und das Management dieser Dienstleister sind komplexe Aufgaben. In Nordrhein-Westfalen schreiben die Bezirksregierungen die Aufträge für die Dienstleistungen aus. In dieser Ausschreibung und später im Vertrag sind die zu erbringenden Leistungen spezifiziert. Das günstigste Angebot erhält den Zuschlag. Qualität geht in die Bewertung mit 60 Prozent, der Preis mit 40 Prozent ein. (Kriterien wie die Reputation der Dienstleister werden nicht als Auswahlkriterien genannt.) Die Verträge werden zeitlich befristet geschlossen.

Aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive müssen wir also erwarten, dass der Auftragnehmer versucht, bei den Leistungen einzusparen, sofern er nicht kontrolliert und bei Minderleistung sanktioniert wird. Dem Auftraggeber – hier der Bezirksregierung – würde man als Wirtschaftswissenschaftler unterstellen, dass die handelnden Personen ebenfalls ihren eigenen Nutzen verfolgen. Das heißt, sie haben nicht unbedingt ein Interesse an der Durchführung von Kontrollen, weil diese vermeidbare Arbeit machen. Dies wirft die Frage nach der Kontrolle und Sanktionierung der Kontrolleure auf und spricht für regierungsunabhängige Kontrollen.

Wie werden nun die Auftragnehmer, die Dienstleister der Flüchtlingsunterkünfte, tatsächlich gemanagt, d.h. gesteuert und kontrolliert? Welche der Instrumente, die aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht naheliegen, kommen zum Einsatz? Meine Informationsgrundlage sind vor allem die Sachstandsberichte (für den Zeitraum 2018 bis einschließlich 2021) des Ministeriums für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen an den Integrationsausschuss des Landtages, Protokolle der Sitzungen des Integrationsausschusses sowie Landtagsprotokolle.

In Nordrhein-Westfalen gibt es fünf Erstaufnahmeeinrichtungen (mit rund 5.900 Plätzen, davon 2.800 belegt) und 29 Zentrale Unterbringungseinrichtungen (ZUEn) (mit etwa 16.000 Plätzen, davon 9.000 belegt). Sämtliche Einrichtungen werden von Dienstleistern betrieben. Gewinnorientierte Unternehmen (European Homecare (EHC) und Organisation for Refugee Service (ORS)) haben einen Anteil von etwa 30 % an den Belegungskapazitäten. Auf die gemeinnützigen Dienstleister (Arbeiter-Samariter-Bund (ASB); Deutsches Rotes Kreuz (DRK); Malteser; Weberhaus Nieheim) entfallen 70 %.

Die Bezirksregierungen legen genaue Aufgabenbeschreibungen fest, die Beschreibung der Bezirksregierung Arnsberg zum Beispiel von 2020 umfasst immerhin 125 Seiten. Diese Kriterien finden Eingang in die Verträge, die allerdings für die Öffentlichkeit kaum zugänglich sind – was es für die Zivilgesellschaft schwer macht einzuschätzen, inwieweit die Kriterien tatsächlich erfüllt werden und ob und wie die Bezirksregierung hier kontrollierend tätig ist. Neben den vertraglichen Vorgaben gibt es gemeinsam mit Wohlfahrtsverbänden erarbeitete Mindeststandards. Die Bezirksregierung Münster schreibt auf ihrer Webseite, dass „die Umsetzung der Mindeststandards durch von der Bezirksregierung Münster eingesetzte „Mobile Kontrollteams“ kontrolliert werde; die Teams erstatteten der Bezirksregierung Münster Bericht. Systematische Berichte darüber sind in den Sachstandsberichten und Protokollen der Ausschusssitzungen allerdings nicht zu finden.

Welche Qualitätskriterien werden nun tatsächlich von den Bezirksregierungen und vom zuständigen Ministerium für ein systematisches Management der Dienstleister herangezogen?

Den Sachstandsberichten des Ministeriums zufolge wird die Qualität der Einrichtungen vor allem über die Beschwerden der Bewohner:innen erfasst. Insgesamt gab es in 2021 1194 Beschwerden, das sind im Mittel 4,8 Beschwerden pro 100 Bewohner:innen. Die häufigsten Beschwerden betrafen die medizinische Versorgung, Unterbringung und Geldleistungen. Weiterhin findet man die Kategorie „Besondere Vorkommnisse“, unter die z. B. Suizide, Gewalttaten (auch durch das betreuende Personal) und Brandstiftung fallen.

Inwieweit überprüft wird, ob die Verträge von den Betreibern eingehalten werden und ob bei Nicht-Einhaltungen mit vertraglich möglichen Schadensersatzforderungen oder Vertragskündigungen reagiert worden ist, darüber liegen mir keine Informationen vor.

Ob die auch aus meiner Sicht nötigen Kontrollen durch mobile Kontrollteams stattfinden, ist auf Basis der von mir ausgewerteten Informationen nicht ersichtlich: Berichte der Teams oder Hinweise darauf sind jedenfalls in Protokollen o.ä. nicht zu finden. Ob und wie Betreiber jemals sanktioniert wurden, auch darüber liegen keine zugänglichen Informationen vor. Haben Erfahrungen mit Betreibern dazu geführt, dass diese bei Ausschreibungen nicht berücksichtigt wurden oder schlug letztlich doch der Preis durch?

In den von mir ausgewerteten Dokumenten findet sich auch keine Aufschlüsselung getrennt nach Einrichtungen. Daher ist nicht zu ersehen, ob sich Einrichtungen (insb. diejenigen, die von gewinnorientierten Unternehmen betrieben werden) von anderen z.B. hinsichtlich der Beschwerdezahl, aber auch bei der Einhaltung anderer Kriterien (Vertragsvorgaben und Mindeststandards), unterscheiden. Daten über Beschwerden getrennt nach Unterbringungseinrichtung und über die Zeit liegen zumindest als Rohdaten vor, stünden also zur Verfügung, sie werden aber nicht „einrichtungsscharf“ ausgewertet bzw. dem Integrationsausschuss nicht berichtet.

(Unabhängige) Evaluationen und Transparenzerhöhung durch Beiräte?

Aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht wären Evaluationen zu begrüßen, die unabhängig von Landes- bzw. Bezirksregierungen durchgeführt werden. Einiges deutet darauf hin, dass der für solche Evaluationen nötige Zugang zu den Einrichtungen nicht ganz leicht ist. Terre des hommes wurde bei einer Studie zu der „Lebenssituation von minderjährigen Geflüchteten in Aufnahmeeinrichtungen“ für Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen der Zugang verweigert. Ein Instrument zur Schaffung notwendiger Transparenz könnten Beiräte sein, besetzt mit Ehrenamtlichen. Vorgesehen ist dies nach meinen Informationen nicht.

Viele Fragen – wenig Antworten

Wichtige Fragen bleiben also derzeit unbeantwortet: Wie werden die Betreiber von Unterbringungseinrichtungen kontrolliert und sanktioniert? Und: Wer kontrolliert die Kontrolleure, vor allem dann, wenn die Transparenz zu wünschen übrig lässt? Man muss kein Wirtschaftswissenschaftler sein, um Antworten auf diese Fragen wichtig zu finden.

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  1. Werner Nienhüser, Professor (i.R.) für Wirtschaftswissenschaften, aktiv im Halterner Forum für Demokratie, Respekt und Vielfalt. Hermann Döbber und Dr. Marion Lillig danke ich für viele Hinweise.
  2. Eine ausführlichere Version dieses Textes mit Erläuterungen, Quellen- und Literaturangaben etc. findet man hier.