Halterner Stadtrat entscheidet über die Zusammensetzung der Heimatpreisjury
(K)ein kleines Lehrstück über demokratisches Verhalten
Werner Nienhüser[1]Die Ansichten des Verfassers geben nicht unbedingt die Meinung des gesamten Forums oder seiner Mehrheit wieder.
„Es gibt keine Demokratie
ohne eine wahre kritische Gegenmacht.“
(Bourdieu 2005: 158)[2]Bourdieu, P. 2005: Die verborgenen Mechanismen der Macht. Hamburg: VSA, S. 158.
Demokratie – theoretisch
Demokratie heißt: Eine Stimmenmehrheit kann ihre legitimen Interessen gegen eine Minderheit durchsetzen. Demokratie heißt aber auch: Argumente für die eigene Position vortragen und andere versuchen zu überzeugen. Nun kann der Fall auftreten, dass eine aus der Stimmenmehrheit resultierende Machtposition dazu genutzt wird, auf Argumente zu verzichten, die Minderheit immer wieder weitgehend begründungslos zu überstimmen und eine kontroverse Diskussion zu verweigern. Wäre ein solches Verhalten, etwa in einem Parlament oder Stadtrat, ein Machtmissbrauch? Zumindest würde das einer Demokratie innewohnende Lernpotenzial nicht genutzt. Dass ein solches Machtdilemma nicht nur ein abstraktes, theoretisches, sondern auch ein reales, praktisches Problem darstellt, zeigt der folgende Fall.[3]Das Bild wurde vom Verfasser mit Microsoft Designer (künstliche Intelligenz) erstellt.
Demokratie – praktisch
Die Stadt Haltern am See vergibt in diesem Jahr einen Heimatpreis, der immerhin mit 5.000 Euro dotiert ist. Der Preis kann an Halterner Vereine und andere Organisationen vergeben werden, nicht an Einzelpersonen. Die Auswahl der Preisträger trifft eine Jury. Dieser Jury sollte u.a. eine Vertreter:in des Forums für Demokratie, Respekt und Vielfalt angehören – dies hatten im September 2023 zwei Ausschüsse des Stadtrates einstimmig, also mit den Stimmen der Vertreter aller Parteien, empfohlen. In der entscheidenden Ratssitzung Ende November jedoch stellte die CDU-Fraktion des Stadtrates den Antrag, keinen Forumsvertreter mehr in der Jury vorzusehen. Der Gegenantrag der Grünen, den Ausschussempfehlungen zu folgen, wurde mit den Stimmen von CDU, WGH und FDP abgelehnt. Die in den Ausschüssen vertretenen konservativ-liberalen Mitglieder änderten offenbar ihre Meinung um 180 Grad.[4]Informationen zum Heimatpreis findet man auf der Seite der Stadt Haltern: https://www.haltern-am-see.de/Inhalte/Startseite/Verwaltung_Politik/_details.asp?form=detail&db=245&id=3926. Die … Continue reading
Selbstverständlich ist es legitim, dass der Stadtrat mehrheitlich beschließt, keinen Forumsvertreter in der Jury vorzusehen. Die Entscheidung dürfte Mitglieder des Forums und diejenigen, die den Vorschlag gemacht hatten, nicht erfreuen, ist aber demokratische Normalität. Ebenso ist es politisch legitim und möglicherweise sogar sinnvoll, wenn ein Stadtrat mehrheitlich beschließt, Empfehlungen von Ausschüssen nicht zu folgen, auch dann, wenn wie in diesem Fall die Empfehlungen einstimmig waren. Man kann schließlich hinzulernen; in der Diskussion können neue Argumente auftauchen, die eine Änderung der eigenen Position erfordern. Nur: Es wurden keinerlei Begründungen dafür genannt, dass man kein Forumsmitglied mehr in der Jury wollte. Der Antrag der CDU wurde vom antragstellenden Fraktionsvorsitzenden Griesbach nicht begründet. Eine Diskussion im Stadtrat fand nicht statt, obwohl der Tagesordnungspunkt im öffentlichen Teil behandelt wurde. (Dass man von Seiten der CDU/WGH/FDP mit dem Forum nicht über den Sinneswandel gesprochen hat, versteht sich vor diesem Hintergrund fast von selbst.)
Was wir lernen können
Welche Lehren mag man aus all dem ziehen? Wer der Mehrheit widerspricht, muss sich über Ablehnung nicht wundern? Eine Mehrheit muss ihre Entscheidungen nicht begründen, eben weil sie die Minderheit einfach überstimmen kann? Wer die Macht hat, muss sich die Mühe der Diskussion nicht machen? Oder befürchtete man, dass man das Forum durch eine kritische Diskussion aufwerten könnte?
Ich meine, auch wer die Mehrheit hat, sollte nicht allein diese Macht einsetzen und andere einfach überstimmen, sondern Argumente nennen. Sicher, am Ende von Diskussionen wird abgestimmt, aber eben erst nach dem Austausch von Argumenten auch mit denen, deren Meinung man nicht teilt. Dass ein Verzicht auf Antragsbegründungen kein guter politischer Stil ist, mag man hinnehmen. Wenn wir daraus jedoch lernen würden, dass es auf Macht ankommt und weniger auf Argumente, dann wäre das ein falsches Signal. Wer richtigerweise fordert, die Demokratie zu stärken und zu leben, muss die eigene Position begründen und sich der Diskussion stellen. Auch in Haltern am See.
Anmerkungen
↑1 | Die Ansichten des Verfassers geben nicht unbedingt die Meinung des gesamten Forums oder seiner Mehrheit wieder. |
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↑2 | Bourdieu, P. 2005: Die verborgenen Mechanismen der Macht. Hamburg: VSA, S. 158. |
↑3 | Das Bild wurde vom Verfasser mit Microsoft Designer (künstliche Intelligenz) erstellt. |
↑4 | Informationen zum Heimatpreis findet man auf der Seite der Stadt Haltern: https://www.haltern-am-see.de/Inhalte/Startseite/Verwaltung_Politik/_details.asp?form=detail&db=245&id=3926. Die Protokolle der Sitzungen der Ausschüsse und des Stadtrates sind im Ratsinformationssystem (https://haltern.gremien.info) nachlesbar. Die Sitzungen fanden an folgenden Terminen statt: 12.09.2023: 10. Sitzung des Schul-, Sport- und Kulturausschusses; 26.09.2023: 13. Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses; 30.11.2023: 12. Sitzung des Rates der Stadt Haltern am See. Auf der 11. Sitzung des Rates der Stadt Haltern am See vom 28.09.2023 sollte der Tagesordnungspunkt zur Jurybesetzung behandelt werden, der Punkt wurde aber vom Bürgermeister ohne Begründung abgesetzt. Von den anderen Ratsmitgliedern wurde auch keine Erklärung verlangt. |