Straßenschild in Sythen ehrt Johann Unterberg

(von Werner Nienhüser)[1]Die Ansichten des Verfassers geben nicht unbedingt die Meinung des gesamten Forums oder seiner Mehrheit wieder.

2013: Bürgerantrag des Heimatvereins 

2013 hatte der Verein für Altertumskunde und Heimatpflege e.V. (kurz: Heimatverein) beantragt, eine Straße in Sythen nach Johann Unterberg zu benennen.[2]2022 nahm man die Möglichkeit wahr, einen neu entstandenen Weg (eine Gemeindestraße) entsprechend zu benennen. Der Klima-, Umwelt- und Mobilitätsausschuss fasste am 20.9.2022 einstimmig den … Continue reading Seit einiger Zeit steht an dem Weg das beantragte Straßenschild.

Warum wurde eine Straße nach Johann Unterberg benannt?

Der Verein für Altertumskunde und Heimatpflege e.V. führte zur Begründung in seinen Bürgerantrag vom  24.1.2013 Folgendes aus (Quelle: Ratsinformationssystem der Stadt Haltern, Ausschusssitzung v. 18.6.2013):

„… Am 30. Januar jährt sich zum 80. Male der sogenannte Tag der „Machtergreifung“ durch Adolf Hitler. Damit wurde nicht nur die Weimarer Demokratie beseitigt, sondern ein Unrechtssystem aufgerichtet, das u.a. in der Vernichtung der jüdischen und anderen Minderheiten endete. Nur wenige widerstanden damals dem System. Zu diesen wenigen gehörte zweifelsohne auch der aus Sythen stammende Johann Unterberg, der dabei erwischt wurde, wie er trotz der geltenden Kriegswirtschaftsverordnung dem bereits gettoisierten jüdischen Mitbürger Hermann Cohn mit Lebensmitteln versorgte. Beide wurden „zur Abschreckung“ öffentlich durch die Stadt geführt. … Dieses beispielgebende Verhalten von Zivilcourage fand bisher keinen Niederschlag im öffentlichen Leben unserer Stadt. Der Verein für Altertumskunde und Heimatpflege Haltern beantragt daher, im Zuge der Neubenennung von Straßen eine dem Johann Unterberg zu widmen. … “

1941: Öffentliche Demütigung

Was es heißt, „‚zur Abschreckung‘ öffentlich durch die Stadt geführt“ zu werden, zeigt das  folgende Foto.  

Das Foto stammt vermutlich aus der „National-Zeitung“ vom 03.04.1941 (siehe H.-G. Schneider, G. Nockemann, B. Brilling: Die Geschichte der Juden in Haltern, Haltern 1982, S. 56). Das hier gezeigte Bild basiert auf einer Fotografie einer Kopie des Artikels im Stadtarchiv Haltern am See.

Das Foto zeigt die öffentliche Demütigung eines jüdischen Bürgers und seines menschenfreundlichen Helfers in Haltern am 31.3.1941.

Die öffentliche Demütigung war eines der zahlreichen von den Nationalsozialisten eingesetzten Instrumente der Machtausübung und -erhaltung.[3]Um das Foto und seine Geschichte in Erinnerung zu rufen, hatte das Forum für Demokratie, Respekt und Vielfalt 2023 eine Postkarte erstellt, die auf Veranstaltungen verteilt wird, etwa zum Gedenken … Continue reading

Gnadenlos werden zwei Menschen – Johann Unterberg und Hermann Cohn – durch Haltern getrieben und öffentlich gedemütigt. Ihr „Vergehen“ wird symbolisch sichtbar gemacht. Johann Unterberg trägt ein Schild mit der Aufschrift „Diese Eier waren für den Juden Cohn bestimmt!“; Hermann Cohn trägt einen Korb mit Eiern. Was hatten die beiden getan? Dem Bericht der Nazi-Zeitung zufolge hatte Johann Unterberg seinem Freund Hermann Cohn Eier gegeben. Juden durfte man aber keine Lebensmittel geben, dafür konnte sogar die Todesstrafe verhängt werden. Die Polizei hatte Unterberg und Cohn in Haft genommen; die öffentliche Zurschaustellung ihrer mutmaßlichen „Straftat“ wurde vermutlich von der SS und SA veranlasst. Hermann Cohn wurde Anfang 1942 von der Gestapo verhaftet und auf einen Sammeltransport ins Konzentrationslager geschickt. Er überlebte den Transport nicht.[4]Am 26.2.2005 wurde für Hermann Cohn in Haltern ein Stolperstein verlegt; siehe auch https://forumdrv.de/stolpersteineplakat. Über das weitere Schicksal von Johann Unterberg, ob und wie er von den Nazis über die öffentliche Demütigung hinaus bestraft wurde, darüber ist bisher nichts bekannt. 

Johann Unterberg hat Widerstand geübt.

Sein mutiger Widerstand bestand darin, sich menschlich gegenüber einem verfolgten, vom Tode bedrohten Menschen zu verhalten. Für Hermann Cohn war es wie für alle Juden schwer, sich ausreichend ernähren zu können. Die Eier von Johann Unterberg werden Hermann Cohn vermutlich noch viel mehr bedeutet haben als etwas zu Essen. Die Gabe von Johann Unterberg war zugleich ein Zeichen, nicht gänzlich alleine zu sein in einer feindlich gesinnten, bestenfalls  gleichgültigen sozialen Umwelt zu leben, ein Zeichen, dass sich andere Menschen sorgen. Der Wille und die Kraft zu überleben  hängen nicht zuletzt von der Hoffnung ab. Johann Unterberg hat wohl auch Hoffnung geschenkt.

Johann-Unterberg-Weg in Sythen, Straßenschild, Foto: WN

Dass die Zivilcourage von Johann Unterberg mit einem Straßenschild gewürdigt wird, ist daher sehr zu begrüßen. Sein Verhalten war beispielhaft. Beispiele für die aktive Unterstützung des Nationalsozialismus, für Mitläufertum, für gleichgültiges oder schuldbewusstes Wegsehen dürften sich viele finden lassen. Widerstand war dagegen eher selten. Die Erinnerung an Johann Unterbergs aktive Mitmenschlichkeit sollte über die Ehrung durch das Straßenschild hinaus wachgehalten werden.[5]Weitere Hintergründe sind in dem Artikel auf dieser Webseite (https://forumdrv.de/foto1941) dargestellt. Etliche Fragen zur Geschichte dieser menschenverachtenden  Aktion, an der nicht nur … Continue reading  

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Die Ansichten des Verfassers geben nicht unbedingt die Meinung des gesamten Forums oder seiner Mehrheit wieder.
2 2022 nahm man die Möglichkeit wahr, einen neu entstandenen Weg (eine Gemeindestraße) entsprechend zu benennen. Der Klima-, Umwelt- und Mobilitätsausschuss fasste am 20.9.2022 einstimmig den Beschluss, einen Weg in Sythen als „Johann-Unterberg-Weg“ zu benennen.( TOP 9: DS-Nr.: 22/105 Widmung des „Johann-Unterberg-Weg“ im Ortsteil Sythen).
3 Um das Foto und seine Geschichte in Erinnerung zu rufen, hatte das Forum für Demokratie, Respekt und Vielfalt 2023 eine Postkarte erstellt, die auf Veranstaltungen verteilt wird, etwa zum Gedenken an das Pogrom am 9.11.1938.
4 Am 26.2.2005 wurde für Hermann Cohn in Haltern ein Stolperstein verlegt; siehe auch https://forumdrv.de/stolpersteineplakat.
5 Weitere Hintergründe sind in dem Artikel auf dieser Webseite (https://forumdrv.de/foto1941) dargestellt. Etliche Fragen zur Geschichte dieser menschenverachtenden  Aktion, an der nicht nur Nationalsozialisten in Uniform (SS und SA), sondern auch Halterner Bürger und Bürgerinnen zumindest als Gaffer beteiligt waren, sind bisher nicht beantwortet.

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