Sozialer Wohnungsbau in Haltern am See – Wahlkampf mit Fake News?

Wilhelm Neurohr / Werner Nienhüser[1]Die Ansichten der Verfasser geben nicht unbedingt die Meinung des gesamten Forums oder seiner Mehrheit wieder.
In einem Interview der Halterner Zeitung wird Bürgermeister Andreas Stegemann (CDU) gefragt, ob er sich nicht mehr für den sozialen Wohnungsbau in der Stadt einsetzen müsste. Andreas Stegemann behauptet daraufhin, die Fördertöpfe von Bund und Land seien leer und kommunale Wohnungsbaugesellschaften müssten von den Halterner Steuerzahlern subventioniert werden. Wir zeigen hier, dass beide Behauptungen falsch sind.
In den Interviews der Halterner Zeitung mit den Bürgermeisterkandidaten (Halterner Zeitung v. 30.8.2025) lassen sich die Redakteure leider auf Fake News ein. Der Kandidat für das Amt des Bürgermeisters und derzeitige Amtsinhaber Andreas Stegemann (CDU) macht unzutreffende Aussagen über den Sozialen Wohnungsbau: Auf die Frage, warum er sich nicht für den sozialen Wohnungsbau in der Stadt einsetze, behauptet Andreas Stegemann erstens, die Fördertöpfe von Bund und Land seien leer. Zweitens behauptet er, die Erfahrung aus Nachbarstädten zeige, kommunale, nicht als Privatunternehmen organisierte Wohnungsbaugesellschaften seien ein „Zuschussgeschäft“ und die Halterner Steuerzahler müssten die Wohnungen solcher Gesellschaften subventionieren. Beide Behauptungen sind falsch (siehe dazu auch den Leserbrief von Wilhelm Neurohr in der Halterner Zeitung v. 4.9.2025). [2]Wir geben hier die Fragen und Antworten ausführlich wieder, da die Artikel der Halterner Zeitung kostenpflichtig sind und nicht von allen gelesen werden können. [3]Ergänzend führt der Bürgermeister an, dass es keine Flächen gäbe und sozialer Wohnungsbau mit „Klotzbauten“ gleichzusetzen sei. Auf das Problem fehlender Flächen gehen wir zum Schluss … Continue reading
Wahr ist: Die Fördertöpfe für den sozialen Wohnungsbau sind gefüllt.
Die Halterner Zeitung fragt: „Wäre es nicht auch Ihre Aufgabe als Bürgermeister, sich für Sozialen Wohnungsbau einzusetzen?“ Andreas Stegemann antwortet: „Woher soll denn das Geld dafür herkommen? Die Fördertöpfe von Land und Bund sind leer.“
Die Wahrheit ist: Das Land NRW hat aktuell keine leeren Fördertöpfe, sondern es stehen mit 2,3 Mrd. Euro pro Jahr zugesagte Rekordsummen zur Verfügung: 10,5 Mrd. Euro bis 2027.[4]Offenbar ohne weitere Recherche übernehmen die Redakteure bei derselben Frage an die Gegenkandidatin Frau. Dr. Giese die Fake News von den leeren Fördertöpfen. Der zuständige Staatssekretär im Landesbauministerium, Daniel Sieveke, sagt: „Rekordmittel, offene Türen, neue Perspektiven – die öffentliche Wohnraumförderung in Nordrhein-Westfalen ist auf einem historischen Hoch. … Die Bewilligungsbehörden erleben so eine starke Nachfrage wie nie zuvor: In 2025 stehen 2,3 Milliarden Euro für Projekte bereit, die … verlässlich für bezahlbaren Wohnraum sorgen“ (Pressemitteilung des Ministeriums von 26.8.2025).
Auch die Fördertöpfe des Kreises Recklinghausen sind nicht leer. Dem statistischen Bericht des Landes NRW zufolge wurden 2024 wurden immerhin 143 neu erbaute Mietwohnungen (Wohneinheiten) mit fast 40 Millionen Euro gefördert. Der Kreis Recklinghausen zählte im 2023 zu den NRW-Spitzenreitern in der Förderung sozialen Wohnungsbaus (Pressemitteilung des Kreises Recklinghausen v. 4.3.2024). Etliche Städte im Kreis Recklinghausen haben Fördermittel erhalten. Ein Beispiel: Der frühere Bürgermeister Halterns und derzeitige Landrat Bodo Klimpel (CDU) sagt bei der Übergabe eines Förderbescheides über mehr als 2 Mio. Euro für den Bau von 14 geförderten Mietwohnungen in Oer-Erkenschwick: „Wohnraum ist mittlerweile ein knappes Gut. Bezahlbaren Wohnraum zu finden, ist eine große Herausforderung. Mit den öffentlichen Mitteln der Wohnraumförderung wollen wir dabei unterstützen, dass mehr bezahlbare Häuser und Wohnungen gebaut werden“ (Bodo Klimpel laut Pressemitteilung des Kreises Recklinghausen v. 23.7.2025).
In Haltern wurden dagegen für Mietwohnungen keinerlei Fördermittel verwendet (Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen: Wohnraumförderung 2024, S. 24f.) . Wir fragen uns: Wieso gibt es die von Bodo Klimpel positiv hervorgehobene Unterstützung durch öffentliche Mittel der Wohnungsförderung nicht in Haltern? Wieso stehen Mittel für andere Städte im Kreis zur Verfügung, während angeblich die Töpfe für Haltern leer sein sollen? Oder wollte man in Haltern keine Mittel beantragen? Gebaut wurde ja durchaus, z.B. die Wohnungen in den Katharinenhöfen, allerdings mit einem nur für Einkommensstarke erschwinglichen Mietpreis von 12 bis 15 Euro pro Quadratmeter (siehe dazu die Webseite des Investors Investor IPG Immobilien sowie das Portal Immobilienscout24)). Oder ist sozialer Wohnungsbau nicht erwünscht, weil man keine einkommensschwächeren Mieter in Haltern will? Alle anderen (auch CDU-regierten) Städte im gesamten Münsterland sind hingegen erfolgreich um öffentlich geförderte Wohnungen bemüht und acht von ihnen haben aktuell sogar gemeinsam eine eigene Wohnungsbaugesellschaft mit örtlichen Tochtergesellschaften dafür gegründet, die Vorbild auch für Haltern sein könnten (siehe Lokalkompass v. 14.7.2025). – Hier hätte man sich doch Nachfragen durch Journalisten der Halterner Zeitung gewünscht.
Wahr ist: Kommunale Wohnungsbaugesellschaften machen Gewinne
Zweitens behauptet der Bürgermeister unzutreffend, dass sich kommunale Wohnungsbaugesellschaften nicht selber trügen, sondern ein Zuschussgeschäft seien, wie die Nachbarstädte angeblich zeigen würden, und die Steuerzahler müssten dafür aufkommen.
Frage der HZ: „Die Flächenentwicklungsgesellschaft (FEG) versteht sich als „Dienstleister für die Stadt und die Menschen, die in ihr leben“. Müsste sich nicht die FEG um mehr Sozialen Wohnungsbau kümmern?“ Antwort Andreas Stegemann: „Die Erfahrung aus Nachbarstädten zeigt, Wohnungsbaugesellschaften tragen sich nicht selbst, die Gesellschaft ist ein Zuschussgeschäft. Für Haltern hieße das: Steuerzahler dieser Stadt würden Wohnungen für andere Steuerzahler dieser Stadt subventionieren.“
Richtig ist: Die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften sind auch ökonomisch ein Erfolgsmodell, wie die z.B. die 2025 publizierte Untersuchung des Bundesinstitutes für Bau-, Stadt- und Raumforschung belegt.
„Die Betrachtung der Gewinn- bzw. Überschusssituation in den kommunalen Wohnungsunternehmen im Jahr 2021 ermöglicht einen ersten Blick auf deren wirtschaftliche Situation. Insgesamt gaben 85,8 % der 478 antwortenden Stellen an, dass sie in 2021 Gewinne bzw. Überschüsse erzielt haben.“ (Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung 2025, S. 84).
Für die ganz große Mehrheit der kommunalen Wohnungsunternehmen trifft die Aussage von Andreas Stegemann offensichtlich nicht zu.
Wie sieht die Situation nun in den von ihm angesprochenen Nachbarstädten aus? Sehen wir uns die folgenden Unternehmen an: die Coesfelder Wohnungsgenossenschaft eG, die auch in Dülmen tätig ist, die Dorstener Wohnungsgesellschaft mbH sowie die Neue Marler Baugesellschaft mbH.
Gewinn (Euro) | Eigenkapital-rendite | Bestand Wohnungen | Durchschnittliche Miete (Euro/Quadratmeter) | |
---|---|---|---|---|
Coesfelder Wohnungsgenossenschaft eG (2022) | 603.067 | 2,5 | 1.000, davon 433 öffentlich gefördert | 6,16 |
Dorstener Wohnungsgesellschaft mbH (2021) | 504.434 | 5,9 | 827, davon 283 öffentlich gefördert | 4,83 |
Neue Marler Baugesellschaft mbH (2022) | 1.664.789 | 6,1 | 3557 | 5,02 |
Wir sehen, dass alle drei Wohnungsbaugesellschaften wirtschaftlich positive Ergebnisse erzielen. Der Jahresüberschuss (Gewinn nach Steuern) fällt jeweils positiv aus. Die Eigenkapitalrendite (Jahresüberschuss/Eigenkapital*100) ist zumindest akzeptabel. Wenn man für alle drei Gesellschaften den gesamten Zeitraum von 2015 bis 2023 (bzw. 2024) betrachtet, dann ist der Gewinn bei allen drei Gesellschaften in allen Jahren positiv (Datenquelle: Abfrage über das Portal Northdata).
Auf welche Daten sich Andreas Stegemann stützt, wenn er behauptet, dass sich die Wohnungsbaugesellschaften in Nachbarstädten nicht selbst tragen, ein „Zuschussgeschäft“ sind und Halterner Steuerzahler die Wohnungen einer kommunalen Gesellschaft subventionieren müssten, wissen wir nicht. Seine Aussage ist zumindest in dieser Pauschalität nicht zutreffend. – Auch hier hätte man sich wenigstens eine Nachfrage oder einen Einwand der interviewenden Journalisten gewünscht.
Für kommunale Wohnungsbaugesellschaften sollten nicht Gewinnerzielung und Rendite im Vordergrund stehen. Auch über eine im engeren Sinne betriebswirtschaftliche Betrachtung hinaus leisten die drei hier genannten Wohnungsbaugesellschaften Positives: Sie bieten durch öffentlich geförderte Wohnungen eine Durchschnittsmiete, die auch für weniger einkommensstarke Mieter erschwinglich ist (siehe dazu die Tabelle oben). Damit können sich auch, anders als in Haltern, Arbeitskräfte in den Städten einen Wohnsitz leisten, die von den Unternehmen vor Ort dringend benötigt werden.
Untätigkeit im sozialen Wohnungsbau ist geplant
Bürgermeister Andreas Stegemann betont in seinem Wahlprogramm: „Ganz wichtig ist uns jedoch, dass wir als Stadt nicht selbst bauen und kein aktiver Akteur auf dem Wohnungsmarkt sind. Dieser Markt solle den privaten Investoren überlassen bleiben. (CDU-Kommunalwahlprogramm 2025, S. 10, auf der Webseite von Andreas Stegemann; einen Vergleich der Positionen der Ratsparteien zum Thema Wohnen auch: https://forumdrv.de/2025/08/27/vergleich-der-antworten-der-parteien-zum-thema-bezahlbares-wohnen).
Im Interview nennt er als Gründe für die Untätigkeit im sozialen Wohnungsbau und für die Ablehnung einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft, dass es keine Fördermittel gäbe und kommunales Bauen ein Zuschussgeschäft sei. Beides ist nicht zutreffend. Ergänzend führt der Bürgermeister an, dass es keine Flächen gäbe. Flächen waren jedoch für zahlreiche aktuelle hochpreisige Wohnbauprojekte vorhanden, so am Nesberg (mit bislang höchsten Grundstückspreisen in Haltern), aber auch in Hullern (Buttstraße), in Lavesum (Schafstall), in Lippramsdorf. Öffentlich geförderte Wohnungen zu erschwinglichen Mieten sind dort allerdings nicht vorgesehen (erstmalig nur in geringer Zahl in den Katharinenhöfen auf einem ehemaligen Betriebsgelände). Eine Möglichkeit böte sich im künftigen innenstadtnahen Baugebiet Pastors Kamp mit Quartierswohnen, wenn die Stadt hier Quoten für geförderte Wohnungen vorgeben würde. In der Vergangenheit hatte die Stadt auf ihren zahlreichen Neubaugebieten am Stadtrand, wie z.B. auch in großem Umfang auf den vormaligen Grünflächen in Sythen, eine vierstellige Zahl an Neubürgern als Zuzügler gewinnen können, ohne auf diesen Flächen auch nur eine einzige öffentlich geförderte Mietwohnung einzuplanen.
Nachdem im Kommunalwahlkampf und durch den „Halterner Appell“ das Thema „Bezahlbares Wohnen“ in Haltern aus der Bürgerschaft, von mehreren anderen Parteien, den Gewerkschaften und Kirchen sowie Wohnungsinitiativen etc. als besonders dringlich angemahnt wird, behauptet daraufhin die Partei des Bürgermeisters (CDU) in einem Wahlkampfflyer zum Stichpunkt Wohnen: „Das Soll an sozial gefördertem Wohnraum für 2025 und 2026 ist (planerisch) erfüllt“.
Da die Stadt selber keine einzige Sozialwohnung geplant hat, lediglich die St. Sixtus-Gemeinde und Caritas mit zwei Projekten (für 18 und 22 öffentlich geförderte Wohnungen) einen sozialen Beitrag für bezahlbares Wohnen leisten will, ist der im städtischen Handlungskonzept Wohnen ermittelte vierstellige Bedarf in der Stadt keineswegs gedeckt, zumal von den wenigen vorhanden älteren Sozialwohnungen im Stadtgebiet die meisten aus der Sozialbindung fallen. Damit ist der hohen dreistelligen Zahl an Berechtigten für einen „Wohnberechtigungsschein“ in der Stadt nicht geholfen und die Behauptung der „Soll-Erfüllung“ völlig unzutreffend, irreführend und auch nicht belegt.
Wenn man keine sozial geförderten, erschwinglichen Mietwohnungen will, weil man Einkommensschwächere nicht als Bürgerinnen und Bürger in Haltern haben möchte, dann sollte man dies sagen und sich nicht auf unzutreffende Tatsachenbehauptungen stützen.
Anmerkungen
↑1 | Die Ansichten der Verfasser geben nicht unbedingt die Meinung des gesamten Forums oder seiner Mehrheit wieder. |
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↑2 | Wir geben hier die Fragen und Antworten ausführlich wieder, da die Artikel der Halterner Zeitung kostenpflichtig sind und nicht von allen gelesen werden können. |
↑3 | Ergänzend führt der Bürgermeister an, dass es keine Flächen gäbe und sozialer Wohnungsbau mit „Klotzbauten“ gleichzusetzen sei. Auf das Problem fehlender Flächen gehen wir zum Schluss unseres Beitrages kurz ein. Zur „Klotzbauten“-Polemik auch nur kurz: Dass sozialer Wohnungsbau gleich „Klotzbau“ ist, deutet eher auf Vorurteile und fehlende Informationen hin. Die Wohnungsbaugesellschaften aus den Nachbarstädten zeigen, wie man ansprechende Wohngebäude bauen kann, die keineswegs dem im Halterner Politik-Sprech verbreiteten Begriff der „Klotzbauten“ entsprechen. Der CDU-Bürgermeister hat kein Problem mit so großen Bauten wie den Katharinenhöfen mit insgesamt 100 Wohnungen. Die von privaten Unternehmen gebauten Wohnungen können sich allerdings nur Menschen mit einem hohen Einkommen leisten. Die Stadt lehnte es ab, eine Quote für öffentlich geförderte Wohnungen vorzugeben, wie in anderen Städten mit 30 Prozent üblich. Seitdem mittlerweile öffentlich geförderte Wohnungen Rendite erbringen, hat jedoch der private Investor für den zweiten Bauabschnitt mit 19 Wohnungen in diesem Jahr Fördergelder in Höhe von 3,1 Mio. Euro für 11 Sozialwohnungen beantragt und durch Landrat Bodo Klimpel im März den Förderbescheid erhalten. (Von wegen „leere Fördertöpfe“, wie von Stegemann behauptet). Öffentliche Förderung wäre auch bei anderen Wohnungsbauprojekten z.B. der städtischen Flächenentwicklungsgesellschaft (FEG) möglich, ist aber nicht gewollt. Die Größe des Baukomplexes wäre aber unseres Erachtens ein guter Anhaltspunkt für sozial geförderte Bauten. Aber das wollen wir nicht hier diskutieren, sondern uns auf zwei Behauptungen des Bürgermeisters konzentrieren, die offensichtlich falsch sind. |
↑4 | Offenbar ohne weitere Recherche übernehmen die Redakteure bei derselben Frage an die Gegenkandidatin Frau. Dr. Giese die Fake News von den leeren Fördertöpfen |
↑5 | Wohnungsgenossenschaft Coesfeld eG. |
↑6 | Dorstener Wohnungsgesellschaft mbH, Daten aus dem im Bundesanzeiger veröffentlichten Jahresabschluss für das Geschäftsjahr 2021. |
↑7 | Neue Marler Baugesellschaft mbH; Jahresabschluss für das Geschäftsjahr 2022. |