Wahlprüfsteine – Antworten (und Nicht-Antworten) der Bundestagskandidat:innen im Wahlkreis 122

Das Forum für Demokratie, Respekt und Vielfalt (Arbeitsgruppe Wahlprüfsteine) hat alle Bundestagskandidat:innen angeschrieben, mit der Bitte, die (persönliche) politische Position zum „Wahlprüfstein Soziales“ zu skizzieren. (Die kompletten Wahlprüfsteine des Forums finden Sie hier: https://forumdrv.de/wahlen/wahlpruefsteine-fragen-zur-bundestagswahl-2021).

Angeschrieben worden sind die Kandidat:innen im Wahlkreis 122: Brian Nickholz (SPD); Lars Ehm (CDU); Robin Conrad (Bündnis 90/Die Grünen); Robert Heinze (FDP); Ulrike Eifler (DIE LINKE).

Bisher haben wir drei Reaktionen auf unsere Anfrage erhalten, in der Reihenfolge des Eingangs: von Brian Nickholz (SPD), Ulrike Eifler (DIE LINKE) und Robin Conrad (Bündnis 90 / Die Grünen).  Über weitere Antworten freuen wir uns.

Antwort von Brian Nickholz (SPD) vom 30. April 2021

„Sehr geehrtes Halterner „Forum für Demokratie, Respekt und Vielfalt“,
vielen Dank für Ihre Anfrage und das damit verbundene Interesse an unseren politischen Ideen für die Zukunft unseres Landes.
Um solche umfangreichen Anfragen angemessen beantworten zu können, haben wir uns mit den anderen demokratischen Parteien auf ein geordnetes Verfahren zu Beantwortung von Wahlprüfsteinen geeinigt. Dieses Verfahren wird die Bearbeitung der Interessensanfragen deutlich vereinfachen.
Interessensverbände können nun über ein Formular ihre Wahlprüfsteine gesammelt unter https://wahlpruefsteine.spd.de einreichen.Als Kandidat für den Bundestagswahlkreis 122 möchte ich allerdings auch persönlich kurz beispielhaft auf ein paar der von Ihnen angesprochen Punkte eingehen.Ihre Anfrage thematisiert u.a. mit den Themen Flüchtlings-, Asyl- und Menschenrechtspolitik, der Sicherheits- und Friedenspolitik, der immer noch zentralen Sozialpolitik, einer wachsenden Demokratie- und Bürgerbeteiligung, den Kampf gegen den wachsenden Rechtspopulismus, dem Bereich der Umwelt- und Klimapolitik und der damit auch verbundenen Mobilitäts- und Verkehrswende, eine Vielzahl von für die SPD und mich zentralen politischen Themen – für unser Land, aber auch vor allem für unsere Region.Viele dieser Themen haben für uns als SPD Schnittstellen. So ist eine umfassende Sicherheits- und Friedenspolitik eine zentrale Bedingung für eine menschenwürdige Flüchtlings- und Asylpolitik. Aber auch die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik kann nur durch eine fokussierte Menschenrechtspolitik umgesetzt werden. Zudem ist Klimaschutz gemeinsam und international zu organisieren. Dazu braucht es bessere Beteiligungsformate, gerade für die jüngere Generation, um das Vertrauen in unsere Demokratie zu stärken. Aber auch die Mobilitäts- und Verkehrswende ist ein wichtiger Bestandteil unserer Umwelt- und Klimapolitik. Dabei ist für uns klar, dass die Bewältigung des Klimawandels nicht zu Lasten der Geringverdiener*innen in unserem Land gehen darf. Wir sehen darin eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die wir gemeinsam und solidarischen lösen müssen. Dazu müssen wir als Gesellschaft in allen Bereichen zusammenstehen. Beispielsweise in der Sozialpolitik, wo wir uns nicht durch Fragen nach bezahlbarem Wohnraum oder gesellschaftlicher Teilhabe spalten lassen dürfen. Zudem treten wir als Partei – und ich als Person aus voller Überzeugung und ausdrücklich – dem wachsenden Rechtspopulismus in unserem Land entgegen.Wir stehen schon heute und auch in Zukunft vor großen gesellschaftlichen Herausforderungen, denen ich mich als Bundestagskandidat aktiv stelle und in denen ich zukünftig bei der Aushandlung konkreter Lösungsstrategien mitwirken möchte. Deshalb trete ich zur Bundestagswahl für den Wahlkreis 122 und den Menschen in unseren Städten an.Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit Ihrer Anfrage weiterhelfen und einen ersten Überblick über meine politische Einstellung zu den von Ihnen benannten Themen darlegen. Um diese Punkte weiterzufassen und auszubreiten, stehe ich Ihnen gerne für ein persönliches Gespräch (z.B. Telefon- oder Videokonferenz) zur Verfügung. Gerne möchte ich Ihr Anliegen detaillierter mit Ihnen diskutieren, um Impulse für meine angestrebte Arbeit in Berlin mitzunehmen.

Mit freundlichen Grüßen
Brian Nickholz“
(Quelle: Email von Brian Nickholz v. 30.4.2021)

Antwort von Ulrike Eifler (DIE LINKE) vom 6. September 2021

(in fetter Schrift die Fragen des Forums)

„Antworten auf den „Wahlprüfstein Soziales“ des Haltender Forums an die Kandidierenden im Wahlkreis 122

Ulrike Eifler, DIE LINKE

Welches sozialstaatliche Gesamtkonzept mit welchen wirksamen Maßnahmen und Reformvorhaben hat sich ihre Partei vorgenommen für eine Beseitigung der sozialen Ungleichheit und der Armutsentwicklung sowie für eine gerechtere Einkommens- und Vermögensverteilung z. B. über die Steuerpolitik etc.?

DIE LINKE möchte den Sozialstaat stärken. Dabei geht es uns darum, dass Menschen sich wirksam gegen die Lebensrisiken von Krankheit, Unfall, Alter, Pflegebedürftigkeit und Erwerbslosigkeit schützen können. Corona hat die Lücken unserer sozialen Sicherungssysteme sichtbar gemacht. Die soziale Ungleichheit hat zugenommen. Doch das Risiko dauerhaft arm zu bleiben, hat sich nicht in den letzten 18 Monaten verdoppelt, sondern in den letzten 20 Jahren. Deshalb braucht es hier eine Trendumkehr. Ein „Weiter so“ würde bedeuten, dass die Politik der Umverteilung von unten nach oben, die in den letzten 25 Jahren durch die Aussetzung der Vermögensteuer und die Einführung der Agenda 2010 herbeigeführt wurde, fortgesetzt wird. Wir wollen deshalb die Vermögensteuer wieder einführen und eine einmalige Vermögensabgabe ab einem Vermögen von zwei Millionen Euro erheben, für deren Zahlung die Vermögenden 20 Jahre Zeit haben. Unterm Strich würde das eine steuerliche Einnahme von über 300 Milliarden Euro einbringen, dringend notwendig, wie wir finden, um die entstandenen Krisenkosten zu begleichen.

Gleichzeitig hat ein Strategiepapier der Arbeitgeberverbände aus dem Sommer 2020 gezeigt, dass sie die Sozialbeiträge auch über diese Legislatur hinaus deckeln wollen, obwohl sie in dem gleichen Papier zu der Einschätzung kommen, dass die Sozialabgaben auf 50 Prozent steigen müssten, um die Krisenkosten stabil zu finanzieren. DIE LINKE ist gegen die Sozialgarantie im Interesse der Arbeitgeber und für die Stabilisierung des Sozialstaates.

Wie wollen Sie die gesellschaftliche Teilhabe der sozial Benachteiligten bzw. die Aufhebung ihrer Benachteiligung in allen Bereichen – einschließlich gleicher Bildungschancen unabhängig von Herkunft und Einkommen – politisch erwirken?

DIE LINKE will einen garantierten Schutz vor Armut. Sanktionen und entwürdigende Antragsverfahren sollen abgeschafft werden. Stattdessen wollen wir ein sanktionsfreie Mindestsicherung von 1.200 Euro für diejenigen, die darauf angewiesen sind. Für das Vorhaben, niemanden zurückzulassen, ist es wichtig, die sozialen Dienstleistungen und die öffentliche Infrastruktur zu stärken und den Zugang für alle zu ermöglichen: im Gesundheits-, Pflege-, Bildungs- und Sozialwesen einerseits und in Bibliotheken, Theatern, Schwimmbädern, auf Straßen und im Nahverkehr andererseits.

Wir wollen öffentliche Schulen für alle ausbauen und das finanzieren, indem wir diejenigen besteuern, die ihre Kinder auf Privatschulen schicken können. Wir wollen das öffentliche Gesundheitssystem für alle stärken und das finanzieren, indem wir diejenigen besteuern, die so finanzstark sind, dass sie ohne Probleme private Zusatzbeiträge zahlen können. Und wir wollen die kommunale Infrastruktur in Form von Stadtteilbibliotheken, öffentlichen Schwimmbädern und Sportplätzen ausbauen, damit auch diejenigen, die zuhause keine Bibliothek und keinen Pool haben, die Möglichkeiten zu musischen und körperlichen Freizeitaktivitäten haben.

Welchen Stellenwert sollen die folgenden Themen in Ihrem Regierungsprogramm einnehmen: Erbschafts- und Vermögenssteuer, Bürgerversicherung, armutsfeste Rente, Alternativen zu Hartz IV, Rückführung privatisierter Gesundheits- und Sozialeinrichtungen in die öffentliche Hand?

In all diesen Fragen brauchen wir einen Politikwechsel: Die Erbschaftssteuer muss reformiert und die Vermögensteuer wieder eingeführt werden. Statt einer Zwei-Klassenmedizin brauchen wir eine solidarische Bürgerversicherung, in die alle einzahlen. Die gesetzliche Rente muss gestärkt werden. Dazu muss die Rente mit 67 rückgängig gemacht und das Rentenniveau wieder angehoben werden. Stadt Hartz IV fordern wir eine sanktionsfreie Mindestsicherung von 1.200 Euro. Die Privatisierungen der öffentlichen Daseinsvorsorge muss auf allen Ebenen rückgängig gemacht werden. Kein Profit mit Gesundheit, Verkehr und Bildung.

Mit welchen politischen Konzepten und konkreten Maßnahmen wollen Sie und Ihre Partei würdiger Arbeit mit fairer Bezahlung zum Durchbruch verhelfen?

Gute Arbeitsbedingungen durchzusetzen ist Sache der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften. Politik musste Rahmenbedingungen so setzen, dass das auch möglich ist. Die aktuelle Tarifauseinandersetzung im Einzelhandel zeigt, wie schwer die gemeinsame Durchsetzung guter Arbeitsbedingungen bei sinkender Tarifbindung ist. DIE LINKE fordert deshalb ein Bundestariftreuegesetz und die Erleichterung bei der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen. Die sinkende Tarifbindung und Deregulierung der letzten Jahre hat die Forderung nach einem Mindestlohn notwendig gemacht. DIE LINKE schlägt vor, diesen auf 13 Euro zu erhöhen. Die Höhe orientiert sich an der Empfehlung der Europäischen Kommission, den Mindestlohn an der Höhe des mittleren Lohnes eines Landes zu orientieren und 60 Prozent davon zur Grundlage zu nehmen. Der mittlere Lohn lag in Deutschland zum Stichtag 31.12.2019 bei 3.401 Euro. 60 Prozent davon sind 2040 Euro. Das bedeutet bei einer 40-Stunden-Woche ein Stundenlohn einen Stundenlohn von 12,75 Euro und bei einer 39-Stunden-Woche exakt 13 Euro. Dass die Deregulierung des Arbeitsmarktes wie die Erleichterung von Leiharbeit, Kettenbefristungen, Werkverträge oder Clickworking rückgängig werden muss, ist selbstverständlich.

In welcher Weise wollen Sie dabei mit Gewerkschaften, Sozialverbänden, Betriebsräten und Betroffenen sowie mit Selbständigen und Kulturschaffenden eng zusammenarbeiten und auf die Wirtschaft einwirken, um für alle Unternehmens -und Beschäftigungsformen die Mitbestimmung und ihre Erweiterung gesetzlich zu gewährleisten?

Es gibt eine Reihe von Beispielen, die zeigen, dass es auf eine Symbiose von parlamentarischer Arbeit und außerparlamentarischem Druck ankommt. Für die Einführung des Mindestlohns haben die Gewerkschaften über zehn Jahre lang Druck gemacht. Die Forderung bekam in dem Moment Rückenwind, in dem DIE LINKE 2005 in den Bundestag einzog und die Forderung einen parlamentarischen Ausdruck bekam. Die Studiengebühren wären ohne den Druck der Studierendenbewegungen niemals von den Landesparlamenten verabschiedet worden, und die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wäre ohne den Streikaufruf der IG Metall 1997 vermutlich von der Kohlregierung eingeschränkt worden. Für DIE LINKE ist die Verzahnung von parlamentarischer Arbeit und außerparlamentarischem Druck die Voraussetzung für die Durchsetzung des Politikwechsels.

Was halten Sie von der Idee, über steuerliche Anreize einerseits und Aufschläge anderseits (im Sinne staatlicher Bonus-Malus-Regelungen oder Zertifizierungen) die Betriebe nach den jeweiligen Arbeitsbedingungen und der Mitbestimmungspraxis staatlicherseits zu belohnen oder zu sanktionieren?

Die Unternehmenssteuern wurden schon vor Jahren massiv gesenkt. Die Körperschaftssteuer muss deshalb wieder auf 25 Prozent erhöht werden. Wir wollen den Wettlauf der Unternehmen um Steuervermeidung unterbinden und drängen auf europaweite und globale Mindestsätze für Unternehmensteuern. Tariftreue, gute Arbeitsbedingungen und betriebliche Mitbestimmung sind kein freiwilliges Bonusprogramm, für dessen Einhaltung man sich Belohnungen verdient, sondern eine Frage des Respekts gegenüber den Beschäftigten. Mehr noch: Union Busting ist kein Kavaliersdelikt, sondern fällt in den Bereich der Wirtschaftskriminalität. Statt Bonus-Malus-Reglungen braucht es Schwerpunktstaatsanwaltschaften, um entsprechende Fälle angemessen zu verfolgen und zu bestrafen.

Wie will ihre Partei das drängende Problem der bezahlbaren Wohnungen in ausreichender Zahl konkret angehen, um das Grundrecht auf Wohnen schnellstmöglich zu gewährleisten?

Die Mietpreise haben sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Über elf Millionen Menschen sind durch Wohnkosten überlastet. Der Grund für Wohnungskrise, Verdrängung und Mietenexplosion ist nicht der Wohnungsmangel. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Fast zwei Millionen Wohnungen stehen leer, weil das Finanzkapital aufgrund der ungleichen Verteilung des Reichtums und der Blasen auf den Finanzmärkten nach lukrativen Anlagemöglichkeiten sucht. Auch aus ökologischen Gründen wären kluge Mechanismen der Umverteilung vorhandenen Wohnraums und die Umwandlung von Altbeständen in Sozialwohnungen den Neubauten vorzuziehen. Darüber hinaus schlägt DIE LINKE einen bundesweiten Mietendeckel und den Neubau von 200.000 Sozialwohnungen jährlich vor.

Wie will Ihre Partei die Rechte der Mieter notwendigerweise stärken?

Die Rechte der Mieterinnen und Mieter sind noch immer viel zu schwach. Die Mietpreisbremse der Bundesregierung wirkt nicht. Bauminister Horst Seehofer gibt dreimal so viel Geld aus Steuermitteln für das „Baukindergeld“ aus, um Gutverdienende beim Kauf von Eigentum zu unterstützen, wie für den sozialen Wohnungsbau. DIE LINKE spricht sich für ein weitgehendes Umwandlungsverbot von Miet- in Eigentumswohnungen aus. Außerdem darf das Recht auf Kündigung wegen Eigenbedarf nur noch für die engste Familie gelten. Vorgetäuschter Eigenbedarf muss bestraft werden. Menschen, die seit langer Zeit in ihrer Wohnung leben oder über 70 Jahre alt sind oder an einer schweren Erkrankung leiden sowie Alleinerziehenden soll gar nicht mehr wegen Eigenbedarf gekündigt werden dürfen. Der Kündigungsschutz muss verbessert werden: Wenn Rückstände bei der Miete beglichen sind, darf nicht gekündigt werden. Zudem muss der Milieuschutz ausgeweitet werden.

Wie wollen Sie die Grundstücks- und Mietpreisexplosion gesetzlich unterbinden? Gibt es ein Konzept Ihrer Partei für eine notwendige Bodenrechtsreform als grundlegende Voraussetzung für eine dauerhafte Preisdämpfung?

Eine der zentralen Ursachen für steigende Mieten ist die Explosion der Bodenpreise. Seit 1964 sind diese durchschnittlich um bis zu 1.800 Prozent gestiegen. Allein in den vergangenen Jahren haben sich die Preise in den großen Städten fast verdreifacht. Deshalb müssen die Bodenpreise für den sozialen Wohnungsbau in den Städten und für Familienwohnen auf dem Land zweckgebunden gedeckelt werden. Die Privatisierung öffentlicher Grundstücke wollen wir mit einem Bodensicherungsgesetz ausschließen. Öffentlicher Boden soll nur noch in Erbbaurecht vergeben werden. Eine Ankaufprogramm in Höhe von zwei Milliarden Euro jährlich soll den Anteil öffentlichen Eigentums an Boden erhöhen. Die Liegenschaftspolitik soll von der Finanzpolitik entkoppelt und auf soziale, ökologische und gemeinnützige Zwecke festgelegt werden. Hinzu kommt ein Vorverkaufsrecht der Kommunen, ein Antispekulationsgesetz und eine Bodenwertzuwachssteuer.“

(Quelle: Email mit Textanhang von Ulrike Eifler vom 6. September 2021)

Antwort von Robin Conrad  (Bündnis90/Die Grünen) vom 23. September 2021

(in fetter Schrift die Fragen des Forums)

Zusammenfassung: sozialstaatliches Gesamtkonzept (1), würdige Arbeit und faire Bezahlung (2), bezahlbares Wohnen (3)

Welches sozialstaatliche Gesamtkonzept mit welchen wirksamen Maßnahmen und Reformvorhaben hat sich ihre Partei vorgenommen für eine Beseitigung der sozialen Ungleichheit und der Armutsentwicklung sowie für eine gerechtere Einkommens- und Vermögensverteilung z. B. über die Steuerpolitik etc.? Wie wollen Sie die gesellschaftliche Teilhabe der sozial Benachteiligten bzw. die Aufhebung ihrer Benachteiligung in allen Bereichen – einschließlich gleicher Bildungschancen unabhängig von Herkunft und Einkommen – politisch erwirken? Welchen Stellenwert sollen die folgenden Themen in Ihrem Regierungsprogramm einnehmen: Erbschafts- und Vermögenssteuer, Bürgerversicherung, armutsfeste Rente, Alternativen zu Hartz IV, Rückführung privatisierter Gesundheits- und Sozialeinrichtungen in die öffentliche Hand?

Eine wichtige Säule des grünen Programms ist es, die Solidarität zu sichern. In den letzten Jahren ist die Schere zwischen arm und reich immer größer geworden. Wir Grünen wollen die Kluft verringern, denn Gesellschaften, in denen die Ungleichheit gering ist, sind insgesamt zufriedenere Gesellschaften. Hohe Einkommen und Vermögen sollen deshalb mehr zur Finanzierung unseres Gemeinwesens beitragen und niedrige werden entlastet. Steuern sind die Grundlage für die Finanzierung unseres Gemeinwesens und zentraler Hebel für Gerechtigkeit. Ziel ist, dass alle einen fairen Beitrag leisten. Heute aber tragen die obersten 10 Prozent der Einkommen über Steuern und Abgaben relativ weniger bei als die mittleren Einkommen. Das möchten wir ändern, indem wir den Grundfreibetrag der Einkommensteuer erhöhen, um kleine und mittlere Einkommen zu entlasten. Im Gegenzug wollen wir den Spitzensteuersatz moderat anheben. Die Vermögensungleichheit in Deutschland hat stark zugenommen und liegt weit über dem EU-Durchschnitt. Das liegt unter anderem daran, dass es sehr reichen Menschen möglich ist, durch Gestaltungen einer Besteuerung von Vermögen, etwa bei der Erbschaftssteuer, nahezu komplett zu entgehen. Wir wollen solche Gestaltungsmöglichkeiten abbauen und große Vermögen wieder stärker besteuern. Dafür gibt es verschiedene Instrumente wie zum Beispiel die Erbschaftssteuer oder die Vermögensteuer. Die Einführung einer neuen Vermögensteuer für die Länder ist unser bevorzugtes Instrument. Die Länder sollten die Einnahmen dieser Steuer für die Finanzierung der wachsenden Bildungsaufgaben einsetzen. Die Vermögensteuer sollte für Vermögen oberhalb von zwei Millionen Euro pro Person gelten und jährlich 1 Prozent betragen.

Im Zentrum unserer Politik werden Kinder, Jugendliche und Familien stehen. Jedes Kind hat ein Recht auf eine gute Schule, egal, wo es lebt, denn Bildungschancen sind Zukunftschancen. Der Alltag sieht aber anders aus. Wir wollen dauerhafte Finanzierungswege für mehr Bildungsgerechtigkeit schaffen, um Regionen oder Quartiere mit Schulen mit besonderem Unterstützungsbedarf zu stärken. Wir fördern multiprofessionelle Teams, in denen sich Lehrkräfte, Schulsozialarbeiter*innen, Erzieher*innen, Schulpsycholog*innen und weitere in der Schule oder Region tätige Fachkräfte gegenseitig ergänzen und mit unterschiedlichen Perspektiven bereichern, um die Schüler*innen und ihre Familien bestmöglich unterstützen zu können. Zudem sollte kein Kind in Armut aufwachsen müssen – doch vor allem bei Ein-Eltern-Familien (Alleinerziehenden), Geringverdienenden mit Kindern oder Familien mit mehr als zwei Kindern reicht das Geld oft vorn und hinten nicht. Kinderarmut bedeutet auch Ausgrenzung, Diskriminierung und schlechtere Bildungschancen. Daher werden wir eine Gesamtstrategie zur Prävention und Bekämpfung von Kinderarmut entwickeln und umsetzen. Neben hervorragender Infrastruktur werden wir Familien mit einer einfachen und gerechten Kinder- und Familienförderung stärken: der Kindergrundsicherung. Unser Vorhaben: Kindergeld, Kinderfreibeträge, Kinderzuschlag, das Sozialgeld für Kinder und die Bedarfe für Bildung und Teilhabe in eine neue, eigenständige Leistung zusammenzufassen. Mit der Kindergrundsicherung bekommt jedes Kind einen festen Garantie-Betrag, Kinder in Familien mit geringem oder gar keinem Einkommen erhalten zusätzlich noch einen GarantiePlus-Betrag. Je niedriger das Familieneinkommen, desto höher der GarantiePlus-Betrag. Nach einmaliger Beantragung bei der Geburt wird die Höhe der Kindergrundsicherung automatisch von der Familienkasse berechnet, die sie dann auch auszahlt. So kommt die Kindergrundsicherung garantiert bei jedem Kind an und Schritt für Schritt beenden wir Kinderarmut.

Wir Grünen möchten eine Bürger*innenversicherung einführen. Unser Ziel ist eine solidarisch finanzierte Bürger*innenversicherung, in der jede*r unabhängig vom Einkommen die Versorgung bekommt, die er oder sie braucht. Im Status quo sehen wir, dass gesetzlich Versicherte länger auf Termine bei Fachärzt*innen warten und viele privat Versicherte können sich die hohen Prämien nicht mehr leisten. Dies wollen wir durch die Bürger*innenversicherung ändern. Des Weiteren müssen in Krankenhäusern alle eine Behandlung erhalten, die sie benötigen. Es braucht eine verbindlichere Landeskrankenhausplanung, die die öffentlichen Versorgungsinteressen an Grund-, Schwerpunkt- und Maximalversorgung definiert. Der Bund soll die Möglichkeit haben, dafür gemeinsame bundesweite Grundsätze für die Krankenhausplanung zu definieren. Welche Angebote es vor Ort gibt, darf nicht davon abhängen, was sich rentiert oder was sich Träger noch leisten können, sondern muss sich danach richten, was nötig ist. Dabei hat die flächendeckende, erreichbare Grundversorgung der Bevölkerung einen eigenen Stellenwert. Die Gemeinwohlorientierung im Gesundheitswesen soll gestärkt und der Trend hin zu Privatisierung umgekehrt werden. Die gesetzliche Rentenversicherung wollen wir schrittweise zu einer Bürger*innenversicherung weiterentwickeln, in die perspektivisch alle einbezogen werden, damit alle gut abgesichert sind und Hartz IV gehört reformiert. Durch eine Grundsicherung soll allen Menschen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und ein Leben in Würde ermöglicht werden. In einem ersten Schritt wollen wir den Regelsatz um mindestens 50 Euro und damit spürbar anheben. Die Grundsicherung ist vor Sanktionen gesichert und gewährleistet das soziokulturelle Existenzminimum.

Mit uns Grünen wird es außerdem einen sozial gerechten Klimaschutz geben. Unser Konzept sieht vor, dass Einnahmen aus einem CO2-Preis direkt an die Bürger*innen zurück gehen. Neben der Senkung der EEG-Umlage werden wir hierfür ein Energiegeld einführen, das jede*r Bürger*in erhält. Im Ergebnis werden Geringverdiener*innen und Familien entlastet. Bezieher*innen von Transferleistungen wie Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe profitieren ebenfalls, da das Energiegeld nicht auf die Grundsicherung angerechnet werden soll.

Mit welchen politischen Konzepten und konkreten Maßnahmen wollen Sie und Ihre Partei würdiger Arbeit mit fairer Bezahlung zum Durchbruch verhelfen? In welcher Weise wollen Sie dabei mit Gewerkschaften, Sozialverbänden, Betriebsräten und Betroffenen sowie mit Selbständigen und Kulturschaffenden eng zusammenarbeiten und auf die Wirtschaft einwirken, um für alle Unternehmens -und Beschäftigungsformen die Mitbestimmung und ihre Erweiterung gesetzlich zu gewährleisten? Was halten Sie von der Idee, über steuerliche Anreize einerseits und Aufschläge anderseits (im Sinne staatlicher Bonus-Malus-Regelungen oder Zertifizierungen) die Betriebe nach den jeweiligen Arbeitsbedingungen und der Mitbestimmungspraxis staatlicherseits zu belohnen oder zu sanktionieren?

Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit, von dieser Selbstverständlichkeit sind wir immer noch weit entfernt. Durchschnittlich verdienen Frauen im gesamten Erwerbsleben etwa nur halb so viel wie Männer. Deswegen setzen wir uns auf europäischer Ebene für eine ambitionierte EU-Richtlinie für Lohngleichheit ein und werden national ein effektives Entgeltgleichheitsgesetz einführen.

Der deutsche Arbeitsmarkt war in den letzten Jahren gespalten: Fachkräftemangel und deutliche Lohnsteigerungen für Hochqualifizierte in einigen Branchen, prekäre Beschäftigung, unfreiwillige Teilzeit und stagnierende Reallöhne in anderen. Dem wollen wir mit einer sozial gerechten Arbeitspolitik entgegentreten. Selbständige brauchen gute Rahmenbedingungen und eine bessere soziale Absicherung. Strukturelle Ursachen für Langzeitarbeitslosigkeit wollen wir bekämpfen. Für Menschen, die lange arbeitslos sind, schaffen wir einen dauerhaften sozialen Arbeitsmarkt, der sinnstiftende Tätigkeiten vermittelt.

Arbeit muss angemessen bezahlt werden und jede*r sollte von nur einem Job leben können. Wir sehen jedoch im Status quo, dass dem nicht so ist und immer mehr Menschen nicht nur einen, sondern mehrere Jobs haben, um ihre Miete bezahlen zu können. Deshalb fordern wir einen Mindestlohn von 12 € die Stunde. Sozialpartnerschaft, Tarifverträge und Mitbestimmung sind Eckpfeiler der sozialen Marktwirtschaft. Sie haben unser Land stark gemacht. Da, wo sie gelten, sorgen sie meistens für anständige Löhne und gute Arbeitsbedingungen. Wir wollen, dass Tarifverträge und starke Mitbestimmung wieder für mehr anstatt für immer weniger Beschäftigte und Betriebe gelten. Bei der öffentlichen Vergabe sollen im Einklang mit europäischem Recht die Unternehmen zum Zug kommen, die tarifgebunden sind oder mindestens Tariflöhne zahlen. Dafür setzen wir auf ein Bundestariftreuegesetz. Zudem wollen wir es leichter machen, Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären, damit sie für alle in einer Branche gelten. Tarifflucht darf sich für Unternehmen nicht lohnen. Wir wollen Betriebe verpflichten zu veröffentlichen, ob sie Tarifvertragspartei sind.

Wie will ihre Partei das drängende Problem der bezahlbaren Wohnungen in ausreichender Zahl konkret angehen, um das Grundrecht auf Wohnen schnellstmöglich zu gewährleisten? Wie will Ihre Partei die Rechte der Mieter notwendigerweise stärken? Wie wollen Sie die Grundstücks- und Mietpreisexplosion gesetzlich unterbinden? Gibt es ein Konzept Ihrer Partei für eine notwendige Bodenrechtsreform als grundlegende Voraussetzung für eine dauerhafte Preisdämpfung?

Wohnen ist ein Menschenrecht. Daher gehört das Recht auf eine Wohnung ins Grundgesetz. In Deutschland sind derzeit – nach Schätzungen – etwa 700.000 Menschen wohnungslos, 40.000 von ihnen leben ohne Obdach auf der Straße, mehr und mehr junge Menschen, Frauen und Familien. Um diesen Zustand zu beenden, wollen wir ein nationales Aktionsprogramm zur Vermeidung und Bewältigung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit auflegen. Dabei ist der Housing-First-Ansatz ein zentraler Baustein, bei dem Obdachlose in eine Wohnung einziehen können, ohne sich zuvor für Hilfe „qualifizieren“ zu müssen. Kein Mensch soll ohne Obdach und eine dauerhafte würdevolle Unterbringung sein.

Wir werden einen Wohn- und Mietengipfel einberufen, der einen echten Dialog auf Augenhöhe zwischen den Mieter*innen-Vertretungen, der Wohnungswirtschaft sowie Bund, Ländern und Kommunen schafft und gemeinsam neue, zukunftsfähige wie soziale Konzepte erarbeitet. Wir werden die Mittel für den geförderten Wohnungsbau deutlich erhöhen und verstetigen. Die Kommunen sollen dabei unterstützt werden, ihre bestehenden Wohnungsgesellschaften und gemeinwohlorientierten Baugenossenschaften zu stärken und neue zu gründen. Dazu werden wir mit einer neuen Wohngemeinnützigkeit für eine Million zusätzliche Mietwohnungen sorgen. Die noch vorhandenen bundeseigenen Bestände sollen nicht mehr an private Investor*innen veräußert, sondern ausschließlich verbilligt an Kommunen mit einer dauerhaften Sozialbindung abgegeben werden. So wollen wir in den nächsten zehn Jahren den Bestand an Sozialwohnungen um eine Million erhöhen. Zudem wollen wir Kommunen ermöglichen, mehr sozialen Wohnungsbau in Bebauungsplänen festsetzen zu können.

Unser Ziel sind faire und bezahlbare Mieten und starke Rechte für Mieter*innen. Es wird ein bundeseinheitliches Gesamtkonzept benötigt, das in einem Bundesgesetz gewährleistet, dass Mietobergrenzen im Bestand ermöglicht werden und die Mietpreisbremse entfristet und deutlich nachgeschärft wird. Unnötige Ausnahmen, beispielsweise beim möblierten Wohnen, schaffen wir ab. Reguläre Mieterhöhungen sollen auf 2,5 Prozent im Jahr innerhalb des Mietspiegels begrenzt werden. Wir streben an, die Modernisierungsumlage weiter abzusenken und auf maximal 1,50 Euro pro Quadratmeter zu begrenzen, damit energetische Sanierungen perspektivisch warmmietenneutral möglich sind. Im BGB soll es ermöglicht werden, in Regionen mit einem angespannten Wohnungsmarkt landesgesetzliche Regelungen dann zu treffen, wenn sie mindestens den Vorgaben des Gesamtkonzepts entsprechen. Die Umlagefähigkeit der Grundsteuer auf Mieter*innen schaffen wir ab. Eigenbedarfskündigungen sollen deutlicher als heute auf die tatsächliche Nutzung durch die Eigentümer*innen und die nahen Verwandten beschränkt werden, um Missbrauch zu unterbinden. Wir prüfen, inwiefern es möglich ist, in angespannten Wohnungsmärkten bei besonders schutzwürdigen Personengruppen Eigenbedarfskündigungen ganz auszuschließen. Veräußerungsgewinne aus privaten Immobiliengeschäften müssen angemessen besteuert werden. Die Spekulation mit Bauland soll unterbunden werden. Wenn in Kommunen große Wohnungsnot herrscht, ergibt sich daraus eine Pflicht für Eigentümer*innen, Grundstücke zu bebauen, statt auf höhere Preise zu spekulieren. Auch gegen Fehlnutzungen und spekulativen Leerstand von Wohnraum werden wir verstärkt vorgehen. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben möchten wir in einen gemeinnützigen Bodenfonds umwandeln. Der Fonds kauft neue Flächen strategisch zu und überträgt sie an gemeinwohlorientierte Träger. Die Flächen sollen bevorzugt in Erbpacht vergeben werden, um Sozialwohnungen dauerhaft sichern zu können. Werden sie veräußert, sollen Kommunen und kommunale Wohnungsgesellschaften ein Erstzugriffsrecht erhalten. Die Einnahmen des Fonds fließen nicht in den Haushalt, sondern werden für den Zukauf weiterer Flächen verwendet.

(Quelle: Email mit Textanhang von Robin Conrad vom 23. September 2021)

Ein Kommentar

Kommentare sind geschlossen.