60 Halterner tauchten mit Julia Friedrichs in die „geheime Welt der Superreichen“ ein

Lebhafte Gespräche über gerechte Einkommens- und Vermögensverteilung

(von Wilhelm Neurohr)

HALTERN AM SEE. In die „geheime Welt der Superreichen“ konnten am 6. November im Halterner KönzgenHaus die 60 Anwesenden beim lebendigen Vortrags- und Gesprächsabend mitsamt Buchlesung der preisgekrönten Journalistin und Filmemacherin Julia Friedrichs eintauchen, die eigens aus Berlin angereist war. Mit dem Termin landeten die Veranstalter einen Volltreffer: Denn einen Tag vorher hatte die Hans-Böckler-Stiftung ihren Bericht über die weiter zunehmende und demokratiegefährdende Ungleichheit bei der Verteilung von Einkommen und Vermögen in Deutschland veröffentlicht, mit dem Höchststand an Armut einerseits und Reichtum andererseits.

Bei ihrer Begrüßung hatte Annette Seier vom KönzgenHaus deshalb Berthold Brecht zitiert: „Reicher Mann und armer Mann standen da und sah`n sich an. Da sagt der Arme bleich: Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.“ Sie fragte: „Soll der Überfluss des einen nicht dem Mangel des anderen abhelfen?“ Denn unermesslicher Reichtum und Elend liegen dicht beieinander. Die Angst vor dem Abstieg werfe die Frage auf „Welches Maß an Ungleichheit verträgt unsere Demokratie?“

Für die Veranstaltergemeinschaft (Halterner Forum/ VITUS/ KAB/ DGB und KönzgenHaus) lenkte Herbert Bludau-Hoffmann eingangs den Blick auf die verschiedenen Facetten im Bestseller-Buch „Crazy Rich“ von Julia Friedrichs, die unter anderem auch an einer Doku-Reihe im WDR über „Ungleichheit“ mitgewirkt hat. Er verwies auf den Zusammenhang von Reichtum und Macht, Steuergerechtigkeit und Klimaschädigung. Dies waren auch die Themen der Gesprächsrunden mit den Anwesenden, denn „über exorbitanten Reichtum muss offen gesprochen werden“, so das Anliegen von Julia Friedrichs.

Persönliche Gespräche mit Superreichen dokumentiert

Julia Friedrichs, die nach schlafloser Nacht (wegen der verfolgten Wahlsendung über den siegreichen Milliardär Donald Trump) hellwach die Spannbreite des Reichtums der oberen 10% skizzierte, nannte Beispiele von 50 Mrd. € Familienvermögen an der Spitze. Reichtum beginne bei 3 bis 5 Mio. €, superreich sei man ab 20-30 Mio. bzw. 100 Mio. € Nettovermögen, überwiegend durch leistungsloses Erben erlangt. Es gebe aber kaum Statistiken oder wissenschaftliche Untersuchungen über Reichtum. Deshalb wollte sie nicht über Reiche schreiben, sondern mit ihnen persönlich reden. Ihr daraus entstandenes Buch, das sie am Büchertisch der Halterner Buchhandlung Kortenkamp signierte, handelt von Superreichen und wie Vermögen die Psyche, Gesellschaft und Demokratie formt.

Es sei schwierig gewesen, an die Reichen heranzukommen, denn anders als z. B. in Asien, wo man mit seinem Reichtum äußerlich protze, sei man Deutschland mit Statussymbolen eher unauffällig. Und nur wenige wollten mit ihr reden, denn über Reichtum zu sprechen, sei Tabu. Unter dem Siegel der Anonymität konnte sie jedoch stundenlange Gespräche in ihrer Küche mit einem jungen Milliardenerben führen, der mit 3 Geschwistern als Erbe „in den Reichtum hineingeboren“ wurde, aber sich um Normalität bemühe. Sie sinnierten insgesamt 50 Gesprächsstunden über Reichtum und elitäres Denken, Fragen der Gerechtigkeit und über sein persönliches Bemühen um Normalität und unbelastete Freundschaften. Diese Schilderungen gehören zu den Höhepunkten ihres des Buches, zu denen die Anwesenden viele Fragen hatten, wie z.B. „Was macht ein Reicher den ganzen Tag und gibt es ohne Arbeit einen Lebenssinn?“ Viele abgeschirmte Kinder von Reichen, die bei Schulfreunden ihre Herkunft leugnen müssen, seien in Therapie, hatte Julia Friedrichs recherchiert.

Reichtum und Macht sind allgegenwärtig

In dem informativen Buch von Julia Friedrichs gibt es neben emotionalen Passagen vielfältige Informationen auch über Steuermoral und Parteispenden, Reichtum als Klimakiller und Wohltätigkeit nach Gutdünken. Sie schilderte einen Fall aus Coburg, wo ein reicher Unternehmer mittels Spenden Druck auf die Stadtverwaltung und Lokalpolitiker für seine Interessen erfolgreich ausübte, denn – so Julia Friedrichs – „Geld öffnet viele Türen“. Befragte Reiche hätten angegeben, sie seien „deutlich mächtiger als Politiker.“

Dies äußere sich auch in der legalen Nutzung von Steuerschlupflöchern durch die Vermögensverwalter der Superreichen. Als Beispiel nannte Fridrichs die umstrittene „Verschonungsbedarfsprüfung“, mit der die Steuerbelastung auf Null reduziert werden könne. „Wir sind ein Hochsteuerland beim Arbeitseinkommen und ein Niedrigsteuerland bei großen Vermögen“, stellte Julia Friedrichs fest und löste damit eine heftige Diskussion bei den Anwesenden über Lobbyismus zugunsten der Vermögenden aus. Letztere seien auch die größten Klimasünder. „Wir brauchten 25 Planeten, wenn wir alle so ein Reichtumsniveau hätten“; meinte Friedrichs.

Begrenzung von „Überreichtum“

Am Ende ihres Buches fächert die Autorin Vorschläge auf, wie sich „Überreichtum“ begrenzen ließe und welche demokratisch verantwortungsvollen Möglichkeiten es gäbe, den Geldüberhang an die Breite der Gesellschaft zurückfließen zu lassen und die Abstände zwischen Reichen und Armen zu verringern. „Das könnte auch die panische Angst der Superreichen vor Verlust ihres Lebensstils durch Kriege, Aufstand oder Umweltkatastrophen verringern“, meinte Julia Fridrichs. Dies löste Debatten bei den Anwesenden über Geiz und Gier aus sowie über die philosophische Grundsatzfrage, ob Geld und Reichtum durch immer weitere Vermögenssteigerung glücklich mache. „Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Abendveranstaltung gingen jedenfalls bereichert nach Hause“, so der Eindruck der Veranstalter.